Abstract [de]: Mediale Inhalte sind niemals unmittelbare Realität – sie werden subjektiv gefiltert und spiegeln eine Vielzahl von Interessen wieder, was gerade zwischen Medien und Wirtschaft immer wieder zu Missverständnissen und Misstrauen führt. Anhand von 10 Thesen und aus beiden Perspektiven wird in diesem Vortrag das schwierige Verhältnis zwischen Journalisten und Unternehmensführern eingehend beleuchtet. Dabei geht es vorrangig um gegenseitige Instrumentalisierung, das Ringen um Definitionsprivilegien und um das Agieren im Spannungsfeld verschiedenster Interessen, das beiden Seiten gemein ist. Das Bedürfnis der Manager, Kontrollverluste zu vermeiden, wird hier ebenso nachvollziehbar, wie das Bestreben der Journalisten, sich in einer neuen Medienlandschaft zu behaupten. Zudem wird deutlich, dass Profitorientierung zwar nicht automatisch das Ende medialer Diversität bedeutet, demokratischer Journalismus aber dennoch kritischer Aufmerksamkeit bedarf.


September 2008

Missverständnis und Misstrauen

Das schwierige Verhältnis von Medien und Wirtschaft 

Vortrag auf der VZB Jahrestagung, 19. September 2008 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 

es ist mir eine besondere Ehre und Freude, hier vor Ihnen über ein Thema zu sprechen, das uns alle angeht. Wirtschaft (und die Medien sind Teil der Wirtschaft) hat ja – anthropologisch gesehen- etwas mit Bedarfsdeckung zu tun; bei der Medienwirtschaft geht es konkret um den Bedarf nach Information und Meinung. 

Seit Gutenberg haben wir uns an das Medium Buchdruck gewöhnt, und Luthers Reformation wäre ohne die typographische Verbreitung seiner Ideen wohl kaum sehr weit gediehen. Medien, so könnte man formulieren, greifen also sehr wohl durch ihr Format und durch ihre Reichweite in den Gang der Geschichte ein, selbst wenn Erfinder, Verleger und Urheber medialer Erzeugnisse jede entsprechende Absicht von sich weisen. 

Diese Erkenntnis ist keineswegs neu, aber dennoch hilfreich. Sie führt nämlich das Thema Medien auf den Prozess der Kommunikation zurück, der hinter jedem Medium steht. Solche Kommunikation geht vom menschlichen Grundbedürfnis des Erzählens, Mitteilens, Informierens, Kommentierens, Lächerlich Machens, Lobens und Plauderns aus; und genau dadurch erhält mediale Wirklichkeit immer ein wesentliches Stück Inszenierung und interessegeleitete Färbung. Sie ist nicht „die Wahrheit“- auf Russisch „Prawda“, auf Lateinisch „Veritas“ -, sondern immer auch eine Politik der Wahrheit. 

Was aber erzählt, berichtet und kommentiert wird, hängt nicht einfach vom Wunsch und Willen dessen ab, über den gesprochen und geschrieben wird und den ich an dieser Stelle „Akteur“ nennen möchte. Schließlich gibt es ja mindestens drei Ebenen des Interesses zu unterscheiden: das Interesse des Akteurs, des Berichterstatters(inklusive seiner Auftraggeber) und das vermutete oder reale Interesse der Rezipienten. Fragen Sie dazu mal den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck! 

Die Schwierigkeit jeder Form der medialen Inszenierung besteht in den unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten. Dies führt mich zur 1. These dieses Beitrags, die lautet: Mediale Inszenierung spiegelt Interessen, die weit über die Absichten der unmittelbaren Akteure hinausgehen! 

Wie sich dies im einzelnen auswirkt, konnten wir im Kontext einer freien Gesellschaft u.a. am Beispiel der Internet-Zensur im China der Olympischen Spiele 2008 erfahren. Da sich die Perspektiven der Beteiligten je nach Rolle im Spiel deutlich unterscheiden, möchte ich zunächst einmal einige eher grundlegende Reflexionen über Medien als Brille für die Wirklichkeit anstellen.

1. Medien als Brille zur Wirklichkeit 

Medien sind bekanntlich nie unmittelbare Realität, sondern ein Mittleres zwischen Sender und Empfänger. Sie wirken daher wie ein Filter: Was durch den Filter geht, ist nicht irreal, es repräsentiert aber auch nicht alles, was Realität ist! – Der mediale Filter entspricht der Rolle des Journalisten, des Redakteurs, des Berichterstatters. Diese wiederum handeln im Kontext handfester , auch unternehmerischer Interessen. Was uns über mediale Filter präsentiert wird, nehmen wir mit der uns eigenen Brille wahr und erblicken darin einen Spiegel der Realität. Trotz aller medialer Filterung ist es jedoch jedem Rezipienten überlassen, wie er mit medialer Realität umgeht: Wir können sie für bare Münze nehmen, wir können sie als Ausdruck purer Polemik wahrnehmen; wir können aber auch eine gewisse Reflexionsdistanz zu einer Meldung oder einem Medienerzeugnis gewinnen. Wir wählen selbst, welche Brille wir aufsetzen, was wir fokussieren und welchen Spiegel wir benutzen. 

In der Dynamik öffentlicher Themen gilt diese Aussage allerdings nur mit Einschränkungen. Warum hat sich das Thema der Pendlerpauschale im Sommer 2008 monatelang in der öffentlichen Diskussion gehalten? Wie kommt es, dass die Kanzlerkandidatur von Kurt Beck wochenlang die öffentliche Diskussion beherrschte und dann- schon deutlich vor seinem Rücktritt-von einem Tag auf den anderen aus den Blättern verschwand? Wieso macht ein Thema wie die Bezeichnung von Private Equity Investoren als „Heuschrecken“ plötzlich Karriere, wird aber heute nur noch selektiv bedient, etwa bei der sehr hohen Sonderdividende von Hugo Boss (Mai 2008) oder aber bei der Insolvenz von Hertie (August 2008)? 

Meine Damen und Herren, hier genau kommt die Leistung unserer unsichtbaren „Brille“ ins Spiel. Medien bieten Inhalte an, deren Bedeutung letztlich erst im Leser und in der Leserin entsteht. Bedeutung wächst ausschließlich im Kontext des eigenen, relevanten Umfelds. Wer genau wie welche Nachricht liest, das ist eine zugleich subjektive und gruppendynamische Angelegenheit. Wir passen uns an das berufliche Umfeld an und haben bald ähnlich getönte Brillen wie die meisten Angehörigen unserer eigenen Berufsgruppe. Meine 2.These besagt folglich, dass mediale Inszenierung der vermuteten Weltsicht der Abnehmer folgt, sie bestärkt, aber auch formt. 

Anders gesagt: Auch wir haben unsere „Politik der Wahrheit“. Steht erst einmal der mentale Rahmen unserer Wahrnehmung, dann ist dieser sehr fest, denn die Stabilität unseres Weltbildes möchten wir uns nach Möglichkeit nicht durch Fakten erschüttern lassen! So waren im September 2006 bereits Nachrichten über Guantánamo und die dortigen Folterungen weltweit durchgesickert. Ich sprach damals mit einem republikanischen U.S. Abgeordneten über das Thema. Sein Verhalten war so, als wolle er sagen: „Wieder einmal so ein Gerede aus dem Alten Europa. Reine Propaganda!“ Die Brille meines Gesprächspartners erlaubte es ihm damals nicht, wirklich ernst zu nehmen, was ich ihm sagte. 

Andererseits ist ja bei weitem nicht alles, was medial vermittelt wird, eine offensichtliche Tatsache. Wir wissen, dass Bilder digital manipuliert werden können, und dass selbst nicht manipulierte Bilder einen falschen Eindruck erwecken, wenn sie aus ihrem Kontext gerissen werden. 

Als intelligente Menschen haben wir aus diesem- hier nur beispielhaft erwähnten-Grund eine Art Vorsichtsmechanismus in uns, der eine Nachricht zunächst gar nicht an ihrem Inhalt, sondern an ihrer vermuteten Glaubwürdigkeit misst. These 3 lautet also: Erst die Glaubwürdigkeit des Boten macht den Inhalt der Nachricht plausibel. Nur weil der „Stern“ generell eher sorgfältig recherchiert, war die Veröffentlichung der angeblichen Hitler-Tagebücher eine solche Sensation- und ihre Entlarvung ein großer Reinfall. 

Kommunikation folgt auch im Alltag dem Prinzip, das ich „Original mit Untertitel“ nenne. Wenn wir einen fremdsprachigen Film ansehen, der nicht synchronisiert ist,erschließen wir uns seinen Inhalt anhand der Übersetzung im Untertitel. Was wirklichgesagt wird, spielt keinerlei Rolle. Wir haben ja eine Übersetzung, die uns den Film erschließen hilft. 

So funktionieren auch Alltagskommunikation, politische Kommunikation, wirtschaftliche Kommunikation und mediale Kommunikation. Wer wirklich Inhalte rüber bringen will, muss sich darum bemühen, einen Kontext von Zustimmung, Vertrauen und Affirmation und entsprechendes Reputationskapital aufzubauen, denn dann ist die Chance deutlich höher, dass generell als wahr und richtig gilt, was jemand sagt. 

2. Wirtschaft im Spiegel der Medien I: Die Sichtweise der Unternehmen 

Das Besondere im Lebensbereich Wirtschaft ist u.a. die komplexe Organisation von Unternehmen, die in einer komplizierten Umwelt danach trachten, gemeinsame Strategien umzusetzen und Ziele zu erreichen. Dies bedeutet in der Praxis, dass unternehmerische Führung immer darauf ausgerichtet sein muss, eine bestimmte Auffassung von der Welt zum Konsens zu führen. Dies gilt auch dann, wenn die Führung mit dieser Weltsicht scheitert, wie es etwa bei der AEG der Fall war, die über Jahrzehnte das letztlich illusionäre Ziel verfolgte, den größeren Wettbewerber Siemens einzuholen (vgl. K.Scheuch/U.Scheuch 2001, 165-184). 

Kritischer gesagt, bedeutet Führung in einem Wirtschaftsunternehmen die Herstellung eines Definitionsprivilegs für die herrschende strategische Deutung der Welt. Geschieht dies all zu plump und aufdringlich, wenden Menschen sich ab oder prägen Vorbehalte aus. Man denke hier an den unglaublichen Langeweile-Faktor nicht aller, aber zahlreicher Mitarbeiterzeitschriften! Dennoch gilt: Wer keinen Raum für gemeinsame Deutung und Bedeutung schafft, der wird keine unternehmerische Identität und Kultur ausprägen und als Führungskraft nicht erfolgreich sein. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass jemand, der die aktuelle Unternehmensstrategie nicht teilt, über kurz oder lang das Unternehmen verlassen wird. Bei einem Führungswechsel ist dies auch immer wieder der Fall. 

Für die Top-Führungskräfte eines Unternehmens ergibt sich aus dieser Situation,dass sie einerseits Erfahrung darin haben, für ihre eigenen Überzeugungen zu werben, andererseits aber schon aus Gründen des Machterhalts sensibel auf offen geäußerten Dissens reagieren. Umgekehrt halten sich Mitarbeiter größerer Unternehmen aus „politischen“ Gründen mit allzu offener Meinungsbekundung zurück: Man weiß ja nie, ob sich nicht der Wind dreht! 

Gerade hier kommt es zum klassischen Missverhältnis und Missverständnis zwischen Wirtschaft und Medien. Ein Unternehmensführer hat selbstverständlich eine gewisse Definitionsmacht über die interne Kommunikation. Er kann aber gegenüber keinem externen Journalisten die Lufthoheit über dessen Schlagzeilen beanspruchen. These 4 lautet daher, dass ein Manager und Unternehmer im Umgang mit Medien immer auch ein Stück Kontrolle verliert. 

Ein durchaus freundliches Gespräch mit einem Journalisten kann sehr wohl in einem ziemlich kritischen Artikel enden; und die Nicht-Kontrollierbarkeit öffentlicher Meinung ist für die meisten Top-Manager eine ernst zu nehmende Grenzerfahrung. Dies gilt um so mehr, als in den Augen vieler Wirtschaftsführer jegliche Kritik allenfalls auf einem bedauerlichen Missverständnis, also einer nicht hinreichend profunden und sachkundigen Information und Kommunikation beruht. Die Folge daraus ist eine Art Grund-Misstrauen gegenüber Journalisten, so wie es ein Fachkollege auf den Punkt bringt: „Unser Problem im Wirtschaftsbereich ist es, dass eigentlich keiner mit uns reden will. In der Politik braucht man nur den jeweiligen politischen Gegner zu fragen und kriegt alle zum Reden. In der Wirtschaft haben die meisten gar kein Interesse, dass etwas nach draußen kommt. Wir werden ständig belogen; man misstraut uns einfach.“ 

So trifft in der Regel der von seinem Tun gründlich überzeugte Unternehmensführer auf einen Journalisten, der sich viel auf die „Vierte Gewalt“ zugute hält und mit nicht geringerem Selbstbewusstsein die Fahne der Pressefreiheit vor sich her trägt. 

Dabei gilt es sicherlich, nach Art des Mediums und Typologie der Situationen zu unterscheiden. Die Berichterstattung des Lokalreporters über eine Hauptversammlung eines wichtigen ortsansässigen Unternehmens ist im besten Fall betont sachlich; in der Regel aber deutlich euphorischer als die Berichte in der FAZ oder in der Financial Times Deutschland. Das ist auch kein Wunder, denn der Lokalredakteur weiß sehr wohl, dass sein Verleger ein hohes Interesse am potenziellen Anzeigenvolumen eines ortsansässigen Großunternehmens hat unddeshalb „Ärger“ vermeiden will. Ob man es will oder nicht, dieser unmittelbar wirtschaftliche Zusammenhang wirkt sich sehr wohl auf die Berichterstattung aus und ist eine der möglichen „Brillen“ auf das tatsächliche Geschehen! 

Je größer das Unternehmen ist, desto stärker wird es ausschließlich über die Person an der Spitze wahrgenommen. Wer heute- 2008- über die Deutsche Bank spricht, wird von Josef Ackermann, dem CEO, sprechen. Gestern Breuer und Kopper, vorgestern Abs-in den Medien kommt ein großes Unternehmen regelmäßig durch seine Spitzenkraft zur Geltung, jedenfalls wenn diese lange genug regiert, um ausreichend wahrgenommen zu werden. 

Die Besonderheit öffentlicher Äußerungen einer Spitzenkraft ist eine Herausforderung, die sich die meisten Journalisten nicht recht vorstellen können. Hinter jeder öffentlichen Aussage eines Vorstandsvorsitzenden stehen ja zahlreiche Interessengruppen im Spannungsfeld zwischen Kunden, Mitarbeitern, Aktionären, Wettbewerbern und Politikern, die innerlich oder äußerlich reagieren werden. Vor diesen „unsichtbar Anwesenden“ – und dies ist These 5- müssen Worte sehr sorgfältig abgewogen werden. Umso gekränkter und beleidigter wird sich das Ego eines Unternehmensführers verhalten, wenn diese Sorgfalt im Blick auf eine aufmerksamkeitsstarke Schlagzeile von Journalisten missachtet wird. 

Außerdem gibt es spezielle Situationen und „besondere Ereignisse“ wie jenes Victory-Zeichen von Josef Ackermann im Esser-Prozess, wie die Turbulenzen rund um die Korruptionsaffäre seit 2006 bei Siemens oder – im Frühjahr 2008- nach der Veröffentlichung von Milliardenverlusten bei der Bayerischen Landesbank. In solchen Fällen nimmt die mediale Interaktion erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmungeiner öffentlichen Person, ja sogar auf ihr Überleben als öffentliche Person. Man beachte hier den Unterschied in der Berichterstattung über Klaus Kleinfeld und Heinrich von Pierer als frühere Vorstandsvorsitzenden von Siemens! Auch hier wieder eine Frage der „Politik der Wahrheit“! 

Zu den ungeschriebenen Gesetzen der deutschen Wirtschaft gehört es aber auch, dass ein Unternehmensführer das richtige Gleichgewicht zwischen öffentlicher Aufmerksamkeit im Dienst des Unternehmens und den negativen Gefühlen findet, die durch zu viel Rampenlicht erzeugt wird. In diesem Fall wird nämlich in Kollegenkreisen und im eigenen Aufsichtsrat sehr schnell der Verdacht laut, eswerde nur das eigene Ego gepflegt, und über der „Öffentlichkeitsarbeit“ gehe die Konzentration auf das Unternehmen verloren. Dies war beispielsweise der Fall bei Olav Henkel und seinen Kolumnen in der „Bild“, aber auch bei Menschen wie dem früheren Telekomvorstand Ron Sommer. Ob es richtig ist, dass Wirtschaft einer der wenigen Lebensbereiche ist, in denen man ohne Medienkompetenz Karriere machen kann, steht freilich auf einem anderen Blatt! 

Zusammenfassend wird klar, dass die mediale Inszenierung von öffentlicher Präsenz für einen Unternehmenslenker im besten Fall ambivalent und auch- im Kontext der eigenen Bezugsgruppe- „gefährlich“ ist.. Daher ist es (und das ist These 6) ein unbewusstes, aber konsensfähiges Idealbild von Wirtschaftsführern, selbst möglichst wenig und möglichst nur in Verbindung mit guten Zahlen in der Presse aufzutauchen! Wie wirklichkeitsnah das ist, überlasse ich Ihrer eigenen Phantasie! 

Ganz anders, aber nicht weniger schwierig wird es, wenn wir die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Journalisten in der Darstellung von Wirtschaft lenken. 

3. Wirtschaft im Spiegel der Medien II: Die Sichtweise der Medien 

Wenn sich ein Journalist mit Wirtschaft beschäftigt, so ist seine innere Bezugsgruppe völlig anders als die der Wirtschaftsführer. Auch er schreibt für „unsichtbar Anwesende“, aber in seiner inneren Landschaft tauchen ganz andere Bezugspunkte auf: Andere Journalisten, der eigene Chefredakteur und Herausgeber, Leserinnen und Leser, speziell im Spiegel der Zielgruppen des eigenen Mediums. Die innere Landschaft eines Journalisten ist außerdem davon geprägt, welche Kenntnisse und welche Einstellung er zur Wirtschaft, zu einem speziellen Unternehmen oder Wirtschaftsbereich hat. 

Ein bekannter Wirtschaftsprüfer erzählte mir einmal von einem Vortrag auf der Evangelischen Akademie in Tutzing, den er zu halten hatte. Er habe aber nicht bedacht, so berichtete er, dass sein Zielpublikum- also evangelische Akademiker, Gewerkschafter und kritische Journalisten- mit jeder Unternehmertätigkeit eine Art „Verbrechertum“ assoziierte, wie er meinte. Es störe ihn zwar nicht, seinen Standpunkt zu vertreten, aber gegen stabile Vorurteile seien Argumente nutzlos, und letztlich habe er seine Zeit verschwendet. 

Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir wieder die Filterwirkung einer bestimmten „Brille“. Diese kann dazu führen, dass jedes Wort eines anderen unverzüglich an das eigene Weltbild angepasst wird, bis zum Extremfall der kontrafaktischen Wahrnehmung: „Auch wenn die Sache so nicht stimmt, so passt sie doch gut zu meinem Weltbild“. 

Die Anpassung oberflächlicher Recherche an das eigen Weltbild ist häufiger, als wir zu denken geneigt sind. Journalisten stehen unter starkem Zeitdruck, und sie wissen, dass es ein geringes Risiko ist, das modifiziert abzuschreiben, was andere ohne Widerspruch schon veröffentlicht haben. Wirkliche Recherche ist selten und aufwändig, und das Grundprinzip, auch die andere Seite zu hören, wird häufiger verletzt, als wir es gerne wahr haben wollen. 

Der Meinungsdruck der Gesellschaft wirkt sich logischerweise auch auf die inneren Bilder der Journalisten aus. Glauben, was alle glauben; meinen, was alle meinen; schreiben, was alle schreiben: Das ist kein schlechter Anfang für eine gute journalistische Karriere. 

Dazu kommt unweigerlich das schon erwähnte Prinzip des „Original mit Untertitel“. Wenn ich davon überzeugt bin, dass niemand ohne Lug und Betrug in den Chefsessel kommt, dann werde ich meinem Gesprächspartner aus der Wirtschaft entsprechende Charakterzüge unterstellen. Merkt der Gesprächspartner das, wird er über eine solche Unterstellung ungehalten sein. So kommt es schließlich zu einer Spirale des Misstrauens: Der eine legt seine Worte auf die Goldwaage, der andere wittert Unrat hinter jedem angefangenen Schweigen! 

Nicht zu vergessen ist hier ein anderer Effekt. Die Pluralität der Medien bewirkt einen enormen Kampf um Aufmerksamkeit. Die moderne Mediengesellschaft lebt mit einem gewissen Lärmpegel von Aufmerksamkeit, der erzeugt und genutzt wird, aber manchmal auch seine eigene Dynamik entwickelt. Jeder Journalist träumt von der Schlagzeile auf Seite 1 der Zeitung oder vom Titelblatt seines Magazins. Es ist also nur rational und professionell, möglichst aufmerksamkeitsstarke Formulierungen aufzugreifen. Für den Gesprächspartner in der Wirtschaft mag es sich um ein unwichtiges Detail handeln; und vor allem weiß er vorher nie, welches von zahlreichen Details aufgegriffen wird. Daher gilt für ihn erneut: „Vorsicht“ ist das Leitprinzip im Umgang mit Medien. 

Die Funktionalisierung von Sprache und Interessen ist aber keine Einbahnstraße. 

Beide, so lässt sich als These 7 formulieren, Journalisten und Wirtschaftsführer, funktionalisieren sich gegenseitig. „Wer die Kanonenrohre hat, der hat die öffentliche Meinung“, so könnte man pointiert formulieren. Dies gilt fürdie Politik ebenso wie für die Wirtschaft. Schließlich werden nicht nur Äußerungen von Unternehmensführern instrumentalisiert und im Licht spezifischer Interessen dargestellt. Auch die Medien werden von Unternehmen konsequent auf eigene Interessen hin funktionalisiert. Am besten sieht man das, wenn ein einstmals mächtiger Wirtschaftsführer abtritt. 

Er hat dann von einem Tag auf den anderen keine PR-Abteilung mehr, kann Pressemeldungen allenfalls im eigenen Namen herausgeben und wird schlicht öffentlich entzaubert. In strittigen Fällen werden dann sogar die Gerichte bemüht, und es kann durchaus sein, dass diese dem Betreffenden später Recht geben- wie im Fall des Ex-Vorstandschefs der Metallgesellschaft Heinz Schimmelbusch. Nur ist dies in der Öffentlichkeit einige Zeit später allenfalls eine winzig kleine Meldung wert.Für die Betroffenen kommt es so zum abrupten Übergang zwischen Größenwahn und Katzenjammer. Gelegentlich kommen solche Menschen über Jahre nicht darüber hinweg, dass sie erst zum großen Helden stilisiert wurden, um dann demontiert und schlicht vergessen zu werden. 

Solche Überlegungen zeigen, dass Interessen auf allen Seiten niemals ausgeschaltet werden können und dass es- bei Licht betrachtet- triftige Gründe für das schwierige Verhältnis von Wirtschaft und Medien gibt. 

4. Misstrauen und Missverständnis zwischen Wirtschaft und Medien 

Die lebensweltlichen und beruflichen Zusammenhänge, in denen Wirtschaftsführer und Journalisten jeweils stecken, machen es rational, der jeweils anderen Seite mit einem gewissen Grundmaß an Skepsis, wenn nicht Misstrauen entgegen zu treten (These 8). Beide Seiten wissen voneinander, dass Sie sowohl realer Gesprächspartner über reale Informationen wie auch instrumentalisiertes Objekt funktionaler und nicht immer klarer funktionaler Interessen sind. Darüber hinaus gewinnen medial vermittelte Informationen häufig eine Eigendynamik, die sich von keiner Seite wirklich planen lässt. Was im Sommerloch einen Aufmacher bringt, landet zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht gerade noch unter „Vermischtes“. 

Ist ein grundlegendes Misstrauen gerechtfertigt, so bedeutet dies noch lange nicht eine Fundamentalkritik am System. Es ist viel mehr Teil der Demokratie, dass eine freie Presse sich auch gegen die Interessen der Regierenden und der wirtschaftlich Mächtigen Gehör verschafft. Dies jedenfalls im Prinzip- ich werde darauf zurückkommen. 

Nun sind konkrete Situationen, die Anlass zu öffentlicher Berichterstattung bieten, höchst vielfältig. Zu dieser Vielfalt gehören höchst engagierte Journalisten, die alle Regeln ihres Metiers beherrschen und anwenden, aber auch ungewöhnlich naive Gesprächspartner aus der Wirtschaft oder Politik; man denke etwa an den schlecht beratenen Rudolf Scharping im Sommer 2001 mit seinen privaten Schwimmbadbildern ein Jahr vor seinem Rücktritt. 

Je naiver jemand ist, um so stärker ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich durch öffentliche Berichterstattung und mediale Inszenierungen missverstanden und vor den Kopf gestoßen fühlt. Auch für Journalisten, die ihrer Berufspflicht genügen, gilt natürlich, dass sie nicht einfach der Erwartung entsprechen können, die Worte eines Konzern-Feldherrn als biblische Wahrheit in ihren Blättern zu veröffentlichen. Misstrauen und Missverständnis sind daher, wie ausgeführt, in einem bestimmten Rahmen unvermeidbare Folgen der je eigenen Professionalität wirtschaftlicher und journalistischer Akteure. 

Was hier auf der Ebene der direkten Interaktion zwischen den Beteiligten gesagt wird, gilt allerdings auch im größeren Rahmen denn auch hinter Medien stehen wirtschaftliche Interessen, die aus der „vierten Gewalt“ manchmal so etwa wie eine „Vierte Front“ machen. 

So jedenfalls formuliert es Roman Berger in einer Analyse über die Medienlandschaft der USA. „Rückblickend müssen wir eingestehen, zu wenig aggressiv und kritisch berichtet zu haben“, so entschuldigte sich die New York Times zu ihrer Berichterstattung über den Irak-Krieg (vgl. R.Berger 2008, 146). Der Strukturwandel der Medienindustrie hin zur Verflechtung privater und politischer Interessen hatte nicht nur im Italien Berlusconis, sondern auch in den USA zur Folge, dass die „Berichterstattung über den Irak-Krieg“ nicht als journalistische, sondern als „Managemententscheidung“ zu gelten habe (ebd.). 

Unter dem Druck renditehungriger Kapitalgesellschaften mutiert seriöser Hintergrund-Journalismus mehr und mehr zum „News-Marketing“. Was nicht in einer Minute und dreißig Sekunden gesagt werden kann, kommt in der Welt nicht vor. „Und bist Du noch so fleißig, es werden nur Einsdreißig“, so formulierte es die ZDF-Studioleiterin in Tel Aviv, Karin Storch (Schwäbische Zeitung, 11.7.2008 Seite „Medien“). 

Das Prinzip der Renditeorientierung steht eben in deutlicher Spannung zum demokratischen Gedanken der „Vierten Gewalt“ im Sinn eines Protagonisten unabhängiger Meinung. Die Konzentration der Nachrichtenproduktion auf NBC, CBS, ABC, Rupert Murdach und Time Warner führe, zumindest in den USA, zu einer Mainstream-Desinformations-Industrie, für die Infotainment, nicht Wahrheit, Relevanz oder gar Aufklärung zum Leitmotiv geworden sei, so argumentieren die Kritiker. 

Ob dies alles in Deutschland ganz anders sei, will ich hier keineswegs beurteilen. Wahr ist aber auch bei uns, dass Kostenzwänge und der Hang zum Infotainment für engagierten Journalismus wenig Raum lassen. Zum Misstrauen zwischen Medien und Wirtschaft, und das ist These 9, gesellt sich somit auch ein gewisses Misstrauen zwischen Medien und Gesellschaft, ob wir das nun so wollen oder nicht. 

5. Überlegungen zu einer zeitgenössischen Medienethik 

Meine Damen und Herren, so bedauerlich es klingen mag: Es gibt gute Gründe für das Misstrauen zwischen Medien und Wirtschaft, aber auch gute Gründe, sich für Verständnis und Vertrauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen einzusetzen. 

Die mediale Inszenierung von Wirklichkeit folgt Gesetzen, die keiner der Beteiligtenfolgenlos überspringen kann. Überlegungen zu einer Medienethik finden ihren Anfang dort, wo wir mit medialer ebenso wie mit unternehmerischer Wirklichkeit professionell, d.h. in Kenntnis ihrer Eigengesetzlichkeit, umgehen. 

Eine Reihe anderer Maximen sind leicht gesagt, aber schwer getan: Sage nur das, was wahr ist- aber Du musst nicht alles sagen, was Du weißt. Unterscheide Information und Meinung, so gut es eben geht. Höre auch die andere Seite, respektiere aber auch die Persönlichkeit Deines Gesprächspartners. Denke daran, dass es nicht nur um Reichweite, sondern auch um Inhalte geht! Und sei Dir des Werts und der Grenze des eigenen Tuns bewusst! 

Was aber, wenn wirklich Missstände anzuprangern sind, echte oder vermeintliche? Wie viele Korruptionsfälle bleiben unentdeckt, weil die Beteiligten sich lange gegenseitig decken? Und umgekehrt: Wo kehrt sich der Mut des gründlich -Unabhängig von individuellen Situationen scheint es mir wesentlich, für zwei Dinge wirklich nachhaltig und stark einzutreten: Für die gründliche Ausbildung von Journalisten und Medienschaffenden auf der einen, und für echte Diversität in der Medienlandschaft auf der anderen Seite. These 10 lautet daher, dass professionelle Ausbildung auch im Bereich ethischer Reflexionskompetenz und der politische Wille zum Erhalt einer vielfältigen Medienlandschaft entscheidende Weichenstellungen für die Lebensqualität in unserem Land sein werden! 

Zu einer solchen Journalistenausbildung gehört auch eine ethische Reflexionsdistanz, um die Voraussetzungen und Folgen des eigenen Tuns kompetent beurteilen, aber auch, um journalistische Werte in einer Gruppe Gleichgesinnter stabil aufbauen und ein ganzes Berufsleben lang durchhalten zu können. Wenn wesentliche Interessengruppen einen Journalisten auffordern, jemand „herunter zu schreiben“, was wird er tun? Sich fügen, oder den Auftrag ablehnen und die betroffene Person anrufen? Wie viel Zivilcourage haben Journalisten? 

Zur Diversität der Medienlandschaft gehört weiterhin die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, aber auch der politische Wille, Konzentrationsprozesse in der Medienwirtschaft mit besonders kritischem Auge zu begleiten. Uns fällt dabei eher leicht der Name Rupert Murdoch oder Silvio Berlusconi ein. Ich möchte aber abschließend das Beispiel des österreichischen Bundeswahlkampfs betrachten. InÖsterreich hat die „Kronen Zeitung“ über 40% Marktanteil bei Tageszeitungen. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, wäre dies so, als hätte die Bildzeitung 30 Millionen Leser. Der Herausgeber der Kronen Zeitung, der 87-jährige Hans Dichand,veranlasste den Kanzlerkandidaten der SPÖ, Werner Faymann, einen EU-kritischen Leserbrief zu schreiben und ihn im Gegenzug, wie mir mehrere hochkarätige Personen glaubhaft versichert haben, „zum Kanzler zu machen“. Was zählenethische Überzeugungen angesichts solcher medialer Macht? 

Meine Damen und Herren, Information ist ein hohes Gut, denn trotz aller Relativierungen sind wir alle an dem interessiert, was wir Wahrheit nennen. Was aber ist Wahrheit? So könn- ten wir mit Pilatus fragen und uns damit trösten, dass in einer komplexen Gesellschaft jede Wahrheit immer auch Gegenstand von Interessen im Sinn einer „Politik der Wahrheit“ ist. Das Misstrauen im Sinn kritischer Prüfung hat daher in einer demokratischen Presselandschaft einen hohen Stellenwert. Das einzige demokratische Heilmittel gegen monopolisierte Definitionsprivilegien und gegen den Totalitätsanspruch auf gesellschaftliche Wahrheit ist daher die kompromisslose Verteidigung der Vielfalt der Medien- und Presselandschaft! Und das spricht dann sehr wohl gegen Praktiken, wie wir sie bei den Herren Berlusconi, Murdoch und Dichand erleben, und zwar ganz schleichend und ganz alltäglich. – 

Und auch aus diesem Grund, meine Damen und Herren, lohnt es sich, sich weiterhin für die Pressevielfalt als Teil praktizierter Meinungsfreiheit einzusetzen! 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 

ZUSAMMENFASSUNG – 10 THESEN

  1. Mediale Inszenierung spiegelt Interessen, die weit über die Absichten der unmittelbaren Akteure hinausgehen. 
  2. Mediale Inszenierung bestärkt und formt die vermutete Weltsicht der Abnehmer.
  3. Erst die Glaubwürdigkeit des Boten macht den Inhalt der Nachricht plausibel.
  4. Ein Manager und Unternehmer verliert im Umgang mit Medien immer auch ein Stück KontrollE.
  5. Manager und Unternehmer müssen öffentliche Äußerungen vor den Interessen ihrer unsichtbar Anwesenden“ Stakeholder abwägen, wenn sie intern bestehen wollen. 
  6. Dem unbewussten Idealbild von Wirtschaftsführern entspricht es, möglichst wenig und nur in Verbindung mit guten Zahlen in der Presse aufzutauchen! 
  7. Beide, Journalisten und Wirtschaftsführer, funktionalisieren sich gegenseitig für die eigenen Zwecke; sie verfolgen ihre eigene „Politik der Wahrheit“. 
  8. Die beruflichen Zusammenhänge von Wirtschaftsführer und Journalisten machen es rational, der jeweils anderen Seite mit einem gewissen Grundmaß an Skepsis und Misstrauen entgegen zu treten.
  9. Dem Misstrauen zwischen Medien und Wirtschaft entspricht ein zunehmendes Misstrauen zwischen Medien und Gesellschaft, auch aufgrund des stärker werdenden Renditedrucks und des Drucks in Richtung Infotainment.
  10.  Professionelle Journalistenausbildung auch im Bereich ethischer Reflexionskompetenz und der Erhalt einer vielfältigen Medienlandschaft sind entscheidend für die zukünftige Lebensqualität in unserem Land! 

LITERATUR 

Ben Bagdikian, The New Media Monopolly, Boston 2004 

Roman Berger, Medien-Monopoly in den USA, Orientierung, 72, Nr.13/14, 31.7.2008, 145-148 

Jens Bergmann/Bernhard Pörksen (Hrsg.), Medienmenschen, Wie man Wirklichkeit inszeniert, Münster 2007 

Tom Fenton, Bad News, The Dceline of Reporting, the Business of News, and the Danger to Us All, Regan Books, New York 2005 

Georg Franck, Die Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998 

Ulrich Hemel, Man hüte sich vor dem Siege über Vorgesetzte, Gracián für Manager, München 2008 

Ders., Wert und Werte, Ethik für Manager, München 2.erw.Aufl. 2007 

Michael Jürgs, Der Tag danach, Vom Verlust der Macht und dem Ende einer Liebe, vom schnellen Tod und von einem neuen Leben, Deutsche Biografien, Gütersloh 2005 

Robert McChesney, Rich Media, Poor Democracy, University of Illinois Press, Champaign Ill. 1999 

Erwin K.Scheuch/Ute Scheuch, Deutsche Pleiten, Manager im Größen-Wahn oder Der irrationale Faktor, Berlin 2001 

Schwäbische Zeitung, 4.September 2008 (Nachrichten und Hintergrund) „Faymann ist der Prinz der „Krone“, von Rudolf Gruber 


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Posted by Ulrich Hemel

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