Abstract [de]: Die unter anderem durch die Finanzkrise hervorgerufene, erlebte Ungerechtigkeit in der Gesellschaft hat zu einer weltweiten Vertrauenskrise geführt. Globalisierung wird heutzutage vor allem als Bedrohung betrachtet. Doch Wirtschaft und Gewinn sind nicht alles, denn ohne den „gesellschaftlichen Rohstoff Vertrauen“ geht es nun einmal nicht. Um Vertrauen aufzubauen, ist Glaubwürdigkeit eine wesentliche Voraussetzung. Diese kann durch die richtige Analyse und wahrhaftige Kommunikation der eigenen Fähigkeiten und Grenzen erlangt werden. Hierdurch wird ein ethischer wie auch ein wirtschaftlicher Mehrwert geschaffen, der letztendlich die Umkehrung von der gegenwärtigen Abwärtsspirale des Vertrauens zu einer Aufwärtsspirale bedingen kann.


Dezember 2008

Die Weltkrise des Vertrauens

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In der aktuellen Finanzkrise hört man von allen Seiten, wie wichtig Vertrauen in die Märkte und in deren Akteure sei. Der ausgetrocknete Interbanken-Markt hat ja genau damit zu tun, dass Banken sich untereinander kein Geld mehr ausgeliehen haben, weil sie einander misstrauen – und auch Anlass dazu haben!

Die konkrete Folge daraus sind aus meiner persönlichen Perspektive freundliche Briefe meiner Banken, die mir ankündigen, dass sie nun die Zinssätze für Kredite anheben. Die gefühlte Ungerechtigkeit, unter der unsere Gesellschaft leidet, hat allerdings nicht nur mit solchen Reaktionen zu tun. Die Krise geht tiefer: Es handelt sich um eine weltweite Vertrauens- und Orientierungskrise. 

Wir leben in einer Welt, die wie nie zuvor Zugang zu schneller und zutreffender Information hat. Für die Finanzmärkte hat das bedeutet, dass sie sich von realen Märkten abgekoppelt haben: Es wird um ein Vielfaches mehr Geld im Finanzwesen bewegt, als es der weltweiten Wertschöpfung aus Produktion, Dienstleistung und Handel entspricht. Dazu kommt: Die Globalisierung im Sinn eines weltweiten Austauschs von Gütern, Dienstleistungen und Ideen wird in Deutschland eher als Bedrohung denn als Chance gesehen- obwohl wir als „Exportweltmeister“ ganz erheblich von ihr profitieren.

Solche Widersprüche führen zu einem gewaltigen Unbehagen in der Bevölkerung. Sie machen anfällig für leichtfertige Verkürzungen, die extremen politischen Parteien in die Hände spielt. Für einen Christen gibt es allerdings auch eine spirituelle Dimension der gegenwärtigen Krise. Wir haben in den letzten Jahren in einer Gesellschaft gelebt, die den Wert der Kapitalrendite übersteigert hat. Unternehmen brauchen Gewinne und eine gute Rendite, um zu überleben und um sich zu entwickeln. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir „Vorletztes“ und „Letztes“ miteinander verwechseln sollten oder müssten. Wirtschaft ist nicht alles, und Gewinn ist nicht alles – aber ohne den „gesellschaftlichen Rohstoff“ des Vertrauens ist beides nichts wert. Was wir erleben, ist eine Weltkrise des Vertrauens.

Die Finanzkrise zeigt zwar, dass ethisches Verhalten kein Zuckerguss für das normale geschäftliche Verhalten, sondern eine wirkliche Notwendigkeit erfolgreichen Wirtschaftens ist. Andererseits wird das Thema zurückgedrängt, weil angesichts der drohenden Rezession, der enger werdenden Liquidität und der düsteren Wolken über dem Wirtschaftshimmel in den Augen vieler „einfach keine Zeit“ bleibt, um sich auch noch mit ethischen Fragen auseinander zu setzen. Genau dies aber ist ein Trugschluß.

Denn niemand kann ohne Glaubwürdigkeit Geschäfte machen. Glaubwürdigkeit bezieht sich auf das Können, das Wollen und das Tun. Das fängt im einfachsten Bereich an: Wer als privater Kunde ein Auto kauft, ohne es bezahlen zu können, begeht die Straftat des Betrugs. Betrug bedeutet näher hin eine bewusste Täuschung bezüglich der eigenen Glaubwürdigkeit im Geschäftsleben. Betrug spiegelt ein Wollen vor, das von einem Können nicht gedeckt wird und daher auch nicht zum „Tun“, d.h. zum Begleichen der fälligen Rechnung, führt.

Glaubwürdigkeit als Voraussetzung für Vertrauen ist ein Thema nicht nur zwischen Personen oder Personen und Unternehmungen, sondern auch für gesellschaftliche Subsysteme. In den letzten 50 Jahren haben viele Menschen in Deutschland eine Erosion des Vertrauens in verschiedenen Bereichen erlebt. Zunächst wuchsen Misstrauen und Bewegungen der Distanzierung gegenüber Kirchen, Parteien und Gewerkschaften. In der Zwischenzeit steht auch das Wirtschaftssystem unter einer Art von Generalverdacht mit einem generalisierten Misstrauensvotum. Es entstand eine Abwärtsspirale des gesellschaftlichen Vertrauens, die am Ende zu einem Generalverdacht aller gegen alle führt.

Als Sündenböcke gelten hier Manager, insbesondere die Banker. Dabei wird übersehen, dass auch Bankvorstände Aufsichtsräte haben, die ihrerseits den auf Rendite drängenden Aktionären verpflichtet sind. Damit wird der Kreis der Verantwortlichen erweitert; und tatsächlich wurde die Gier nach immer mehr zu einem beherrschenden Zeichen bestimmter Kulturen in Unternehmen und Gesellschaft. 

Allzu bequem ist es auch, den Staat als Retter zu beschwören. Übersehen wird dabei, dass der Staat hier nur deshalb mit Glaubwürdigkeit auftreten kann, weil er sich in die Rolle eines Anker-Investors begibt und auf Sicht mit seinem Rettungspaket sogar Geld verdient. Denn niemand, auch nicht das größte Bankhaus der Welt, kann so viel Geld bewegen wie größere Staaten. Der Haushalt der USA, Deutschlands und Frankreich kann mit der Finanzkrise fertig werden – Island offensichtlich nicht! Es hat also wenig Sinn, den Staat zu idealisieren, zumal die gegenwärtigen Regulierungsmängel immerhin auch mit politischem Handeln zu tun haben.

Das beherzte Eingreifen des Staates kann Glaubwürdigkeit schaffen, weil der Staat dafür gerade stehen kann und will. Damit wird gesagt, dass das Schaffen von Vertrauen nicht einfach von guten Absichten, sondern auch von realen Handlungsmöglichkeiten, deren Grenze und deren Reichweite, abhängt.

Wer im Wirtschaftsleben Vertrauen erzeugen will – als einzelner oder als Unternehmern – der muss sich zunächst auf die eigenen Stärken und Handlungsmöglichkeiten besinnen. Erst die richtige Analyse der eigenen Fähigkeiten eröffnet den Raum, der für die Schaffung von Vertrauen überhaupt zugänglich ist., gleich ob wir über Einzelpersonen, Organisationen oder Unternehmen sprechen.

Hier kommt auch wieder der zentrale Wert des Vertrauens ins Spiel. Ein gutes Unternehmen schafft wirtschaftlichen und ethischen Mehrwert. Der wirtschaftliche Mehrwert ergibt sich aus der Wertsteigerung des Unternehmens, aus erzielten Gewinnen und Zukunftsaussichten. 

Der ethische Mehrwert ergibt sich aus einer sauberen Werteorientierung eines Unternehmens. Das bedeutet, dass es einen klar benannten Verantwortlichen gibt, der auf die Glaubwürdigkeit der unterschiedlichen „Lebensäußerungen“ des Unternehmens achtet entweder der Unternehmer selbst oder eine von ihm beauftragte Person oder Ethikkommission.

Der ethische Mehrwert eines Unternehmens lässt sich im übrigen recht einfach definieren: Es geht darum, Vertrauen zu schaffen, zu erhalten und zu mehren. Dies gilt für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Aktionäre gleichermaßen. Dabei gilt die Nagelprobe durchaus: Wer bei einem Kunden Vertrauen mehrt, erhöht die Wahrscheinlichkeit für erfolgreiche Kaufakte und damit den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Gleichzeitig wirkt er der gegenwärtigen Abwärtsspirale des Vertrauens entgegen. Dazu aber kann jeder einzelne in seinem kleinen Bereich beitragen!

Gleichzeitig fühlen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem glaubwürdigen Unternehmen gut aufgehoben. Wer konsequent an den Themen Glaubwürdigkeit und Vertrauen, also am „ethischen Mehrwert“ seines Unternehmens, arbeitet, der erzeugt im Lauf der Zeit eine „Aufwärtsspirale des Vertrauens“. Die damit erlebbare Sinnerfüllung strahlt auch auf andere Lebensbereiche aus. Sie fängt aber im Kleinen an: in den Familien, in den Schulen und in der alltäglichen Lebenswelt bis hin zu den Betrieben. So gesehen, kann jeder einzelne mit persönlichem Einsatz  Zeichen setzen und mithelfen, die gegenwärtige „Weltkrise des Vertrauens“ zu überwinden!

LITERATUR:

Hemel, Ulrich: Wert und Werte, Ethik für Manager, 2. erw.Aufl., München 2007.


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Posted by Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel

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