Abstract [de]: Die globale Zivilgesellschaft ist das Umfeld für jede Art von technischer und sozialer Innovation. Am Beispiel der Photovoltaik, des Elektroautos und der Biowasserstoffwirtschaft wird gezeigt, wie eng der “mentale Rahmen” oder Mind Set einer Gesellschaft mit deren politischer Gesetzgebung, aber auch ihrer sozialen und technischen Innovation zusammen hängt. Die Förderung und aktive Gestaltung der Zivilgesellschaft kann daher die Umsetzung von Innovationen behindern, aber auch erheblich zu deren Erfolg beitragen! Die Zivilgesellschaft wird dadurch zu einem wesentlichen Part des sozialen und technischen Innovationsmanagements!


September 2009

Die globale Zivilgesellschaft und die Verbindung von technischer und sozialer Innovation

1. Unsere Umwelt: Die globale Zivilgesellschaft

Die globale Zivilgesellschaft ist Teil der kulturellen Luft, die wir atmen, gleich ob wir in Europa, in Afrika, Asien oder Lateinamerika leben. Die globale Zivilgesellschaft ist Teil der kulturellen Zeitgenossenschaft, die für die breite Masse der Weltbevölkerung eine lebensgeschichtliche Tatsache geworden ist, gleich welche Sprache wir sprechen, welchem Geschlecht wir angehören und wie alt wir sind.

Ich würde die globale Zivilgesellschaft wie folgt umschreiben:

  • Wir wissen über wesentliche Ereignisse in der Welt schnell Bescheid (Internet, Fernsehen, Mobiltelefon)
  • Wir haben einzelne, große Referenzpunkte gemeinsam, so wie etwa der 11.September 2001 (Attentat auf die Twin Towers in New York) oder der 15.September 2008 (Zusammenbruch der Bank „Lehman Brothers“ und nachfolgende Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise).
  • Wir müssen uns alle mit dem Thema Bevölkerungsentwicklung und Klimawandel auseinandersetzen und erleben jedenfalls deren Folgen
  • Wir haben ein Interesse am Überleben und am Wohlstand unserer Familien unabhängig von Nationalstaaten und Staatenbünden.

Wir könnten also sagen: Die Zivilgesellschaft ist alles, was nicht Staat und Parteipolitik ist, in höchst vielfältigen Ausdrucksformen und Gestalten.

Die Zivilgesellschaft setzt einzelne nationale Gesellschaften und Gruppen nicht außer Kraft, bildet aber deren Kontext. Dabei ist es auf jeder Ebene wichtig, mit neuen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen umzugehen.

Meine These ist, dass erst die Kombination von technischer und sozialer Innovation unsere Zukunftsfähigkeit befördert.

2. Technische und soziale Innovation: Die Bedeutung des „mentalen Rahmens“ in einer Gesellschaft

Nehmen wir drei Beispiele: Photovoltaik, Elektroauto, Biowasserstoff.

Wir alle sind aufgewachsen im Erdölzeitalter. Benzin für das Auto, Heizöl für den Tank im Keller. Alles war – scheinbar- reichlich verfügbar.

Meine Großmutter hatte allerdings einen Kohleherd. Für uns war es altmodisch, Kohle aus dem Keller zu holen.

Und so könnten wir die Kette weiter fortsetzen: Vom Holz zur Kohle, von der Kohle zum Erdöl, vom Erdöl zu Wind, Sonne und Wasserstoff.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie wir von einer technischen Innovation zu deren sozialer Umsetzung kommen. Auch hier zwei Beispiele:

Schon vor über 100 Jahre gab es die ersten Überlegungen zum Elektroauto. Diese Innovation setzte sich aber nicht durch. Erst heute, mit einem völlig veränderten sozialen Mind Set, gibt es wieder ernsthafte Versuche in diese Richtung („Betterplace“).

Umgekehrt gab es vor rund 40 Jahren eine gewisse Euphorie rund um die Kernkraft. Ich bin in Worms in die Schule gegangen, und eine unserer interessantesten Exkursionen führte in das neu erbaute Atomkraftwerk Biblis. Friedrich Dürrenmatts Werk „Die Physiker“ beschreibt den damaligen Traum der fortschreitenden Naturbeherrschung.

In unserer Zeit ist davon wenig übrig. Wir haben feststellen können, dass Atomkraftwerke große Folgeprobleme verursachen. Außerdem sind sie eine sehr zentralistische Form der Energiegewinnung und schon aus diesem Grund stör-, aber auch sabotageanfällig.

Was in der einen Zeit sozial plausibel war, gerät einige Jahre später unter Generalverdacht- oder umgekehrt.

Meine zentrale These lautet daher wie folgt: Das „soziale Mind Set“ bereitet den Boden für die Durchsetzung oder Verhinderung technischer Innovation.

Anders gesagt: Wer technische Innovation will, muss zuerst den mentalen Rahmen der Menschen in einer Gesellschaft bewegen!

3. Technische und soziale Innovation: Das Beispiel der Photovoltaik

Die Photovoltaik ist ein gutes Beispiel dafür. Vor einigen Jahren hielt ich einen Vortrag und schlug u.a. die Nutzung der Brachflächen rechts und links der Autobahnen für Photovoltaik vor. Ein Professor für Ingenieurwesen qualifizierte den Vorschlag als Unsinn ab, schon wegen des geringen Wirkungsgrads der Photovoltaik. In der Zwischenzeit hat sich diese Technik stark durchgesetzt, und ich freue mich natürlich jedes Mal, wenn ich auf einer Autobahn fahre, bei der rechts und links Photovoltaikplatten montiert sind!

Was ist hier passiert? Geändert hat sich vor allem der mentale Rahmen zur Beurteilung dieser Technologie. Der Druck, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu vermindern, hat zu Anstrengungen in Forschung und Technik, aber auch zu einem veränderten politischen Klima geführt. Das wiederum hat die Gesetzgebung beeinflusst:

Deutschland war eines der ersten Länder mit einer recht massiven Förderung der Photovoltaik und ist bis heute der größte Photovoltaikmarkt. Im letzten Jahr, 2008, gab es jedoch in Spanien einen riesigen Photovoltaikboom, weil ein Einspeisegesetz erlassen wurde, welches bis zum 28.9.2008 recht attraktive Vergütungen garantierte. Dieses Jahr wiederum beginnt der Boom in China, denn auch dort beginnt man nun mit entsprechenden Regelungen und einer darauf abgestellten Industriepolitik.

Ob nun die technische Innovation die politische Gesetzgebung gefördert hat oder umgekehrt, ist eine Art von Henne-Ei-Problem. Mir geht es hier nicht darum, dieses Problem zu lösen, sondern darauf zu achten, wie eng der mentale Rahmen in einer Gesellschaft mit tatsächlicher technischer Innovation wie etwa der Dünnschichttechnologie in der Photovoltaik zusammen hängt.

Beim Elektroauto verhält es sich durchaus ähnlich. Noch vor 20 Jahren wurde die Idee häufig als unrealisierbar abgetan. Erstens, so hieß es, käme der Strom letztlich aus der Steckdose und vielleicht sogar aus einem Kohlekraftwerk oder einem Atommeiler. Zweitens hätte ja niemand Zeit, sich 5 Stunden an einer Tankstelle seine Batterie neu laden zu lassen.

Auch hier hat sich die Welt verändert. Heute stehen wir eher vor einer anderen Herausforderung: Je mehr wir auf Solar- und Windenergie bauen, umso stärker müssen wir darauf achten, wie die Grundlast garantiert wird, d.h. jene Menge Energie, die wir auch dann brauchen, wenn es dunkel und windstill ist. Gefragt wird also nach der Speicherbarkeit regenerativer Energien.

4. Technische und soziale Innovation: Die Bedeutung der politischen Willensbildung am Beispiel des Elektroautos und des Biowasserstoffs

Batterien für Elektroautos wären eine Möglichkeit, solchen Strom aus regenerativen Energien effektiv zu speichern. Und statt Autos stundenlang an einer Tankstelle aufzuladen, denkt man heute eher an ein flächendeckendes Tauschsystem: Man gibt eine weitgehend entleerte Batterie ab und tauscht sie gegen eine volle.

Ein solches Tauschsystem ist aber eher eine soziale als eine technische Innovation! Shah Agassi hat mit seiner Firma „Betterplace“ in diese Richtung weiter gedacht und bemüht sich derzeit um Investoren für ein flächendeckendes Tankstellen- oder Batteriewechselnetz. Ein Batteriewechsel dauert dann eher kürzer als ein heutiger Tankstopp, und der Strom dafür kann aus regenerativen Energien gewonnen werden.

Die Verbindung von sozialer und technologischer Innovation muss allerdings auch politisch gewollt und gefördert werden. Politischer Wille wiederum hängt von einer gewissen kritischen Masse von Befürwortern ab. Anders gesagt: der mentale Rahmen in der Bevölkerung, verbunden mit dem engagierten Einsatz von Protagonisten, kann zum technologischen und sozialen Wandel führen.

Dem stehen nicht selten massive wirtschaftliche Interessen gegenüber. Es war beispielsweise ein leicht nachvollziehbares Interesse der Zigarettenindustrie, sehr lange Zweifel daran zu nähren, ob Rauchen tatsächlich schädlich ist. Dieser Kampf ist verloren. Ähnliches gilt und galt für den Klimawandel. Schließlich haben große Energiekonzerne kein deutliches Interesse daran, die Erzeugerpreise etwa durch Verschmutzungszertifikate zu erhöhen. Folglich wurden Mittel dafür verwendet, Zweifel an der Tatsache des Klimawandels zu verbreiten. Auch dieser Kampf ist nun verloren, sogar in den USA.

Die globale Zivilgesellschaft spielt hier eine nicht zu unterschätzende Rolle. Niemand kann sich heute vom freien Fluss der Ideen und Meinungen abkoppeln. Das Internet ist zwar keine wissenschaftliche Einrichtung, aber – wie das Beispiel der Enzyklopädie „Wikipedia“ zeigt- doch ein Vehikel der Kooperation, des Dialogs und des Ringens um den besten Weg. Es macht- anders gesagt- jeder Form der Zensur und der Diktatur das Leben eher schwer als leicht.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein drittes Beispiel erwähnen: Den Biowasserstoff.
Hier geht es um die Verwendung von trockener und feuchter Biomasse, die über Steam-Reformer oder Wasserstofffabriken in Gas umgewandelt wird und dann in eine Gasleitung eingebracht wird. Die Verstromung würde nicht am Punkt der Erzeugung, sondern am Punkt der Lieferung, also im Privathaushalt, vorgenommen.

Technisch ist dies gut lösbar. Hier fehlt es allerdings noch am politischen Willen, der etwa dadurch manifestiert werden könnte, dass sich eine bestimmte Region als „Biowasserstoff-Region“ definiert. Besonders in Mitteleuropa mit einer intensiven Landwirtschaft könnte diese „Systeminnovation Biowasserstoff“ eine Zukunft haben, die zu günstigen Preisen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen vermindert. Schließlich gäbe es hier ein Zusatzeinkommen für Landwirte; es könnten auch heutige Brachflächen genutzt werden; und die Energieerzeugung wäre überwiegend dezentral, so dass Energieverteilungskosten kaum ins Gewicht fallen (vgl. K.H.Tetzlaff 2005).

Auch in diesem Fall sind zahlreiche technische, soziale und politische Details zu diskutieren. Die Systeminnovation Biowasserstoff soll hier vor allem als Chance für Regionen genannt werden, die sich zum Vorreiter einer energetischen Innovation machen wollen und die in ihrer lokalen Zivilgesellschaft einig genug sind, entsprechende Regelungen zu treffen.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Lassen Sie mich zum Schluss kommen und zusammenfassen wie folgt:

Technische und soziale Innovation gehen Hand in Hand, denn Schwerpunkte von Forschung und Entwicklung hängen von den Interessen einer Gesellschaft und ihrem „mentalen Rahmen“ oder „Mind Set“ ab.

Der mentale Rahmen einer Gesellschaft ermöglicht ihr eine größere oder geringere Offenheit für technische Innovation, die dann ihrerseits auf Mentalitäten, aber auch auf die praktische Gesetzgebung zurückwirkt.

Die Wechselwirkung von mentalem Rahmen, politischer Förderung und technologischer Innovation hängt von historischen Zufällen, aber auch von engagierten Protagonisten, von risikobereiten Investoren und einer hinreichend offenen Zivilgesellschaft ab.

Für eine energetische Systeminnovation wird es daher mehr und mehr darauf ankommen, diesen Zusammenklang von sozialer und technologischer Innovation zu erforschen, zu beobachten und, wo möglich, zu fördern- zum Wohl unserer Generation, aber noch mehr zur Sicherung der Zukunft für alle künftigen Generationen!

Literatur

J.Diamond, Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt/M. 2006

U.Hemel, Wert und Werte, Ethik für Manager, München 2.Aufl.2007

M.Horx, Anleitung zum Zukunftsoptimismus, Frankfurt/M. 2007

G.Monbiot, Hitze, Wie wir verhindern, dass sich die Erde weiter aufheizt und unbewohnbar wird, München 2007

K.-H.Tetzlaff, bio-Wasserstoff, Eine Strategie zur Befreiung aus der selbstverschudleten Abhängigkeit vom Öl, Norderstedt 2005 (ISBN 3- 83342616-0)

 H.-J.Wagner, Was sind die Energien des 21.Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2007

Posted by Anne Häseker

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