Abstract [en]

The public mistrust towards business has increased immensely – the call for CSR is becoming louder. But what could corporate responsibility refer to? Evidently, one must look at business and society holistically to answer this question. Given a globalized and pluralistic world, human dignity is an adequate foundation for an overall value system – and the Global Compact is the first step into the right direction toward well-grounded and comprehensive business ethics. This could – as a bridge between business and society- constitute a bench mark for every business, no matter of which size or area.

Abstract [de]

Das öffentliche Misstrauen gegenüber der Wirtschaft ist immens gewachsen – der Ruf nach CSR wird immer lauter. Doch worauf kann sich unternehmerische Verantwortung beziehen? Klar ist, dass zur Beantwortung dieser Frage eine ganzheitliche Betrachtung von Wirtschaft und Gesellschaft erfolgen muss. Angesichts einer globalisierten und pluralistischen Welt bildet die Menschenwürde ein geeignetes Fundament für einen übergreifenden Wertekorridor – der Global Compact ist hier der erste Schritt in die richtige Richtung einer fundierten und generalisierbaren Wirtschaftsethik, die als Brücke zwischen Wirtschaft und Gesellschaft einen Bezugspunkt für jedes Unternehmen darstellen kann, unabhängig von Größe und Standpunkt.

 

Februar 2010

Menschenwürde und Unternehmertum.

Die Konkretisierung von „Global Compact“ durch eine Neufundierung der Wirtschaftsethik

get pdf: Menschenwürde und Unternehmertum

 

Inhaltsverzeichnis:

  1. Augangslage: Corporate Governance, CSR und öffentliche Reaktionen
  2. Von „Global Compact“ zu fairen Wertschöpfungs-Partnerschaften – Chancen und Grenzen im Rahmen der globalen Zivilgesellschaft
  3. Die generelle ethische Leitidee des Wirtschaftens und die Frage nach einer übergreifenden Sozialstrategie
  4. Menschenwürde als Leitbegriff der praktischen Wirtschaftsethik und der Imperativ der Sinnschöpfung
  5. Die Ausstrahlung der Menschenwürde auf Anspruchsgruppen, Zielkonflikte und Handlungsweisen von Unternehmen
  6. Menschenwürde und die Besonderheit kleiner und mittlerer Unternehmen
  7. Menschenwürde und die Dialektik von Macht und Ohnmacht
  8. Schlussfolgerungen für die Unternehmensethik: Menschenwürde als Leitmotiv ethischer Glaubwürdigkeit für Wirtschaft und Unternehmen

Literatur

Anhang: Die 10 Grundsätze des UN-Global Compact zu Menschenrechten, Arbeitsbeziehungen, Umwelt und Korruption

 

1. Ausgangslage: Corporate Governance, CSR und öffentliche Reaktionen

Die öffentliche Diskussion über Unternehmensethik ist im Anschluss an die Finanz-und Wirtschaftskrise seit dem Jahr 2008 zu einem breiten Strom von Wortmeldungen angeschwollen. Darin drückt sich das Unbehagen breiter Kreise der Bevölkerung an einer amerikanisch-angelsächsisch geprägten Wirtschaftsmentalität aus, die in den Schlagworten des „Shareholder Value“ und der „Banker-Boni“ ihren psychologischen Kristallisationspunkt fand.

Breite gesellschaftliche Diskussionen führen in der Regel nicht zu neuen Erkenntnissen, stoßen aber Handlungsketten an, die sich dann wieder auf Unternehmen und das System Wirtschaft insgesamt auswirken. So gibt es zum einen die einflussreiche Corporate Governance Kommission, die zunächst durch Gerhard Cromme, jetzt durch Klaus-Peter Müller, den früheren Vorstandschef der Commerzbank, geleitet wird (vgl. N.Pfitzer/P.Oser 2003, V).

Für einen durchschnittlichen Unternehmenslenker hatte dies zur Folge, dass er sich im Rahmen des Jahresabschlusses mit den entsprechenden Regelungen auseinandersetzen muss. Überall dort, wo das Unternehmen von den Vorgaben des Corporate Governance Codex abweicht, muss eine sogenannte Nicht-Entsprechenserklärung vorgelegt werden (vgl. N.Pfitzer/P.Oser 2003, 31-34). Man muss also begründen, warum beispielsweise die Vorstandsbezüge nicht einzeln ausgewiesen sind oder warum andere Regelabweichungen in Kauf genommen werden. Es handelt sich hier zwar nur um Sollvorschriften. Die Ausweispflicht gegenüber der Unternehmensöffentlichkeit und gegenüber Investoren verfehlt jedoch ihre Wirkung nicht, denn die Qualität eines Unternehmens bemisst sich heute auch für institutionelle Investoren nicht nur anhand der Ergebniszahlen, sondern auch anhand solcher, zusätzlicher Faktoren.

Für den einzelnen Vorstandschef, der persönlich vielleicht wenig Interesse an einer reflektierten Ethik haben mag, sind solche Vorgaben ein wenig lästig und mit anderen bürokratischen Vorgaben vergleichbar. Damit aber nicht genug. Gerade für Großunternehmen bringt die öffentliche Debatte einen weiteren Parameter der Unternehmensleitung mit sich, der sich auf das Risikomanagement, speziell auf Reputationsrisiken eines Betriebs auswirkt. Es geht hier um den diffusen Ruf nach gesellschaftlicher Verantwortung für Unternehmen, der in das Schlagwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) mündet (vgl. A.Habisch u.a. 2008; E.Günther 2008, 52f.).

Dabei ist letztlich nicht klar, was CSR tatsächlich bedeuten soll. Wenn ich beim durchschnittlichen Unternehmenslenker bleibe, könnte er das Thema als Kostenblock im Sinn einer Imagekampagne zur Vermeidung von Reputationsrisiken auffassen. Folge davon ist, dass in Großunternehmen beachtliche Stabsabteilungen entstehen, die Preise ausloben, Kooperationen mit Stiftungen und gemeinnützigen Initiativen eingehen oder sich im breitesten Sinn zugunsten der Zivilgesellschaft engagieren.

Dass dabei in Teilen eine ganz hervorragende Arbeit geleistet wird, ist ebenso unstrittig wie der Umstand, dass es tatsächlich ethisch engagierte Unternehmenslenker und Mitarbeiter gibt. Weder in der Management- und Finanztheorie noch in der Wirtschaftsethik ist jedoch klar, welche letztendliche Zielsetzung und welchen finanziellen und personellen Umfang CSR-Initiativen haben sollten. Klar ist zumindest, dass es um eine Kombination von gesellschaftlichem Nutzen und einem Wertschöpfungsbeitrag für das Unternehmen handeln soll (vgl. A.Habisch 2008,5).

Die Folge daraus ist leicht zu verstehen: Dort wo höhere Gewinne sprudeln und dort wo die Schwelle des gesellschaftlichen Misstrauens höher liegt, dort sind die CSR-Budgets am besten ausgestattet, namentlich bei Banken und bei Pharmaunternehmen (vgl. H.Hölz 2008, 511-517; K.Leisinger 2007). Verständlich ist es dann, dass kleine und mittlere Unternehmen hier zumindest zurückhaltend sind und dass in der Öffentlichkeit trotz guten Willens eher die kalmierende Wirkung des mittelalterlichen Ablasshandels erzielt wird. Beispielsweise wird dann unterstellt, man wolle mit CSR-Maßnahmen sein potenziell schlechtes Gewissen beruhigen.

So gibt es zwar ein öffentliches Entwicklungshilfeziel (0.7% des BSP), aber keine erkennbare Meinungsbildung über den zeitlichen, finanziellen und kräftemäßigen Umgang mit CSR-Initiativen. Unternehmensethisch führt ein isolierter CSR-Ansatz von Haus aus ebenso in die Irre wie der erwähnte Ablasshandel, der schließlich Ausgangspunkt für Martin Luthers Thesen und die Reformation wurde:

Notwendig ist eine ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens im Blick auf ethische Spielregeln! Eine solche ganzheitliche Betrachtung soll im Folgenden vertieft werden.

2.   Von „Global Compact“ zu fairen Wertschöpfungs-Partnerschaften – Chancen und Grenzen im Rahmen der globalen Zivilgesellschaft

Abhilfe verspricht – gerade für Großunternehmen-die „Global Compact“ Initiative. Es handelt sich um eine Initiative des ehemaligen UN Generalsekretärs Kofi Annan, der in Davos 1999 eine Selbstverpflichtung von Unternehmen auf bestimmte ethische Rahmenparameter forderte. In gewisser Weise handelt es sich um eine moderne Form der „Zehn Gebote“ für Unternehmen auf den Gebieten der Menschenrechte, der Arbeitsnormen, des Umweltschutzes und – seit 2004-der Korruptionsbekämpfung. Vorteilhaft an diesem Forderungskatalog ist die Begrenzung auf wenige, zentrale Themen und die Verbindung mit einem jährlichen Fortschrittsbericht, dessen Ausgestaltung den einzelnen Unternehmen überlassen bleibt. So wird zumindest dokumentiert, dass dauerhaft an verbindlichen Themen gearbeitet wird. Es unterbleibt aber eine inhaltliche Würdigung des erzielten Fortschritts­selbst wenn dies zugegebenermaßen schwierig wäre.

Die zehn Forderungen von Global Compact sind von mehreren tausend, meist großen Unternehmen aufgegriffen worden. Rechtlich verbindlich ist die Unterzeichnung des „Global Comapct“ letztlich nicht. Auch ist strittig, welche Praktiken tatsächlich als „Diskriminierung“, „Menschenrechtsverletzung“ oder als „Korruption“ zu gelten haben. Wie hoch die ethische Messlatte liegt, ist über die Einhaltung von Gesetzen hinaus letztlich eine Sache jedes Unternehmens.

Die mangelnde Konturiertheit allgemeiner Regeln ist das eine, ihr eher allgemeiner Charakter das andere. Für kleinere und mittlere Unternehmen handelt es sich nach oft gehörter Aussage um eine Ansammlung von Selbstverständlichkeiten. Die Global Compact Grundsätze Nr.4 und 5 beziehen sich beispielsweise auf Kinderarbeit und Zwangsarbeit. Diese sind für Einzelhändler, aber auch für mittelständische Produktionsbetriebe heute gewiss nicht mehr an der Tagesordnung. Nun lässt sich der Standard zwar immer weiter nach oben schrauben, etwa in der Frage, was „Diskriminierung“ ist. Mit Maßnahmen, die Geld kosten, wird jedoch zwangsläufig auch die Frage der Kosten-und Lastenverteilung auf den Tisch kommen.

Bei allen Leistungsgrenzen von Global Compact gilt es doch anzuerkennen, dass es sich hier um eine Initiative handelt, die in die Richtung einer sich entwickelnden weltweiten globalen Zivilgesellschaft auch in wirtschaftlicher Hinsicht geht. Eine überzogene Globalisierungskritik übersieht ja, dass der internationale wirtschaftliche Austausch von Gütern und Dienstleistungen eine stabile Infrastruktur, ein leistungsfähiges Bildungswesen und die Abwesenheit militärischer Konflikte benötigt. Die Achtung von Menschenrechten, Infrastrukturinvestitionen, Frieden und Bildung gehört daher zu den elementaren Interessen nicht nur der weltweiten Zivilgesellschaft, sondern auch kleiner und großer Wirtschaftsunternehmen.

Im Rahmen der Aufgabenstellungen des „Instituts für Sozialstrategie“ (www.institut-fuer­sozialstrategie.org) kann es daher nicht um eine Fundamentalkritik an „Global Compact“ gehen, sondern eher um den Impuls, die darin gespiegelten ethischen Anliegen auch für kleine und mittlere Unternehmen fruchtbar zu machen.

Vorläufer dafür waren die häufig kirchlich geprägten Eine-Welt-Gruppen, die sich für „Fair Trade“ von Kaffee bis Schokolade, von Kunstgewerbeartikeln bis hin zu Teppichen eingesetzt haben und einsetzen. Anfänglich belächelt, sind diese Initiativen in der Zwischenzeit Teil des allgemein verfügbaren Warenangebots, teilweise bis hin zu den Discountern.

In der mittelständischen Industrie fällt das Denken in fairen Wertschöpfungspartnerschaften bisweilen noch schwer. Das hängt freilich nicht am mangelnden guten Willen, sondern an fragmentierten Strukturen, die für einzelne Marktteilnehmer nicht leicht zu überwinden sind. So hat sich bis heute das FSC-Siegel für Holz-es steht für das Siegel des „Forest Stewartship Council“-, das nachweislich nicht auf Raubbau und Brandrodung beruht, nicht komplett durchgesetzt. Ähnliches gilt für das MSC-Siegel für nachhaltigen Fischfang (es steht für „Marine Stewartship Council“).

Es gibt aber auch ermutigende Beispiele. So haben Steinimporteure in Baden-Württemberg in Verbindung mit der Agentur „Win-Win“ über Wertschöpfungsketten hinweg Maßstäbe für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Menschenrechte und ökologische Kriterien erarbeitet, die auch in asiatischen Steinbrüchen-etwa in Vietnam-zur Anwendung kommen und deren Einhaltung unter dem Siegel „Fair Stone“ firmiert (H.Werner 2010). Ein anderes Beispiel kommt aus dem Einzelhandel: Hier wurde der Blumenlieferant aus Kenia, der dort einen Rosenzuchtbetrieb hat, ökologisch evaluiert. Vorteilhaft an solchen Initiativen ist ihr konkreter Charakter: Es geht nicht um eine globale Weltverbesserung, sondern um nachvollziehbare und gut dokumentierte Schritte, die letztlich auch der Nachhaltigkeit von Arbeitsplätzen in ärmeren Ländern dient.

Die ethische Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft zeigt hier konkrete Auswirkungen. Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, dass zumindest mittlere und größere Unternehmen eine eigene Ethikkommission, ein Corporate Ethics Committee, bilden. Dieses sollte auf Dauer eingerichtet werden und die die Unternehmensführung bei kritischen ethischen Fragen beraten. In Krankenhäusern gibt es solche Ethikkommissionen bereits. Hier wie dort könnten betriebliche Ethikkommissionen im Lauf der Zeit von einer Nachbetrachtung kritischer Fälle zur prognostischen Evaluierung geplanter Maßnahmen und Handlungen gelangen.

Wer in diesem Zusammenhang die in der Ethik allseits bekannte Kasuistik-Falle vermeiden möchte, bei der ohne übergreifende Linie von Einzelfall zu Einzelfall entschieden wird, tut allerdings gut daran, ethische Entscheidungsfindung im Unternehmen an Leitideen zu koppeln, die allgemeine Bedeutung beanspruchen können. Dabei bedient bereits die hinter diesem Gedanken stehende Frage eine gesonderte Beachtung.

  1. Die generelle ethische Leitidee des Wirtschaftens und die Frage nach einer übergreifenden Sozialstrategie

Die Frage nach einer generellen Leitidee des ethisch sinnvollen wirtschaftlichen Handelns wird in der öffentlichen Diskussion bislang aktiv vermieden.

Die Begründung dafür dürfte im Dilemma liegen, welches der Begriff einer generellen Leitidee nahe legt. Legt man sich nämlich auf eine solche Leitidee fest, verstößt man scheinbar gegen das große gesellschaftliche Gebot des weltanschaulichen Pluralismus. Auf diesem Hintergrund gilt zwar Finanzunternehmen mit islamischen Anlageprinzipien ebenso wie christlich motivierten Inhaber-Unternehmern von Deichmann bis zu Brenninkmeyer (C&A) hoher Respekt; dieser aber verbunden mit der Skepsis gegenüber einer allgemeinen Übertragbarkeit solcher Werthaltungen.

In Absetzung von solchen Tendenzen bin ich der Auffassung, dass wir die Flinte nicht zu früh ins Korn werfen sollten. Eine Gesellschaft ohne große integrative Ideen verliert den Zusammenhalt. Nun ist zwar die Wirtschaft ein exemplarisches Feld für pragmatisches Verhalten bis hin zu Extremfällen. Gleichzeitig ist allseits bekannt, dass auch Unternehmen einer Vision, eines Leitbildes und einer Strategie bedürfen (vgl. M.Porter 1980, C.Stern/G.Stalk 1998).

Dies gilt aus mindestens zwei Gründen. Auf der Ebene rationalen Entscheidungsverhaltens ist es von großem Vorteil, einen Maßstab der Differenzierung zu haben, der angesichts dringender Einzelfallentscheidungen zur Aussage verhilft: Dieses Verhalten ist eher strategiekonform, jenes eher strategiefern.

Strategien bilden also den mentalen Rahmen für Alltagsentscheidungen von Unternehmen. Der zweite Grund folgt aus dieser Analyse: Während nämlich die Existenz einer Strategie die Entscheidungsgeschwindigkeit befördert und die einheitliche Entscheidungsrichtung fördert, führt deren Abwesenheit zu einem Atomismus von Alltagsentscheidungen. Jeder tut, was er selbst für am besten hält. Fehlt aber der übergreifende Rahmen einer Strategie, fällt ein Unternehmen leicht auseinander. Es kommt zu widersprüchlichen und divergierenden Entscheidungen. Anders gesagt: Ohne Strategie ist der Erfolg eine Sache des Zufalls.

Dies gilt auch für den einzelnen Mitarbeiter, der sehr wohl an der ökonomischen Wertschöpfung teilhaben will und kann. Über die funktionale Rollenerfüllung hinaus hat er aber auch das Bedürfnis nach einer individuellen Sinnschöpfung. Das was er tut, soll für ihn und seinen persönlichen Lebensentwurf sinnvoll sein. Fehlt das Gefühl der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, kommt zumindest ein Störgefühl auf. Verhärtet sich dieses Gefühl, kann der Sinnverlust am Arbeitsplatz zu ernsthaften Berufs-und Lebenskrisen führen.

Die hier zu stellende Frage geht über den Bereich des Wirtschaftens hinaus. Auch große und komplexe moderne Gesellschaften können mit einem Sinnvakuum auf Dauer nicht funktionieren. Wir müssten also die Frage stellen: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? Welche Leitidee ist geeignet, als Maßstab für strategische Entscheidungen zu dienen? Kann es so etwas wie eine gesamthafte „Sozialstrategie“ überhaupt geben, gerade angesichts einer globalisierten Welt?

Da im Sinn des sozialen Friedens Gesellschaft und Wirtschaft sich nicht allzu weit voneinander abkoppeln sollten, kann die gestellte Frage nach einer ethischen Leitidee von Wirtschaft und Gesellschaft sogar noch zugespitzt werden. Suchobjekt wäre eine Leitidee, die für Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen attraktiv, konturiert und interpretationsoffen ist. Am besten wäre ein gedankliches Leitmotiv, das auch gegenüber den etablierten Religionen anschlussfähig ist, ohne von ihnen in einseitiger Weise vereinnahmt zu werden.

Madeleine Herren hat in ihrem Buch „Internationale Organisationen seit 1865-Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung“ (Darmstadt 2009) Skizzen zur Entstehung des modernen Völkerrechts und der globalen Zivilgesellschaft vorgelegt. Dabei werden die Konturen einer seit dem 19.Jahrhundert schrittweise und unter großen Mühen entstehenden weltweiten Zivilgesellschaft sichtbar. Auch wenn die Idee der Menschenrechte in ihrem Werk nicht im Vordergrund steht, so eignet sich doch in ihren Augen „die Forderung nach der Wahrung der Menschenrechte zur Mobilisierung einer internationalen Öffentlichkeit“ (M.Herren, 2009, S.92).

Dies bedeutet nicht, dass es zur Auslegung der Menschenrechte und zu ihrer Begründung in einer allen Menschen zukommenden Menschenwürde keinen Streit gäbe. Gleichwohl ist es ein reizvoller Gedanke, einmal den Versuch zu machen, die Gestaltungskräfte moderner Gesellschaften bis hin zur globalen Zivilgesellschaft unter dem Leitgedanken der Entfaltung von Menschenwürde zu betrachten. Aus meiner Sicht finden wir hier vielfältige Konturen und Ansatzpunkte für eine zu entfaltende globale Sozialstrategie, die beispielsweise Zugang zu Nahrung und Wasser, Bildung und Gesundheit voraussetzen würde.

Im Folgenden wird eine mögliche Brücke zwischen Wirtschaft und Gesellschaft über den Begriff der Menschenwürde und der Menschenrechte vorausgesetzt. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass die beiden ersten Prinzipien des „Global Compact“ ganz ausdrücklich auf die „Wahrung der internationalen Menschenrechte“ und auf die Distanzierung von Partnern beziehen, die diese missachten (Global Compact, Prinzipien 1-2; siehe Anhang).

Trotz dieser prominenten Hervorhebung ist es bemerkenswert, dass wirtschaftsethische Systeme sich bislang – außerhalb des Global Compact-nicht explizit auf die zwar interpretationsoffene, aber allgemein anschlussfähige Welt der Menschenrechte und Menschenwürde beziehen. Ein erster Schritt in diese Richtung soll mit den folgenden Gedanken versucht werden.

  1. Menschenwürde als Leitbegriff der praktischen Wirtschaftsethik und der Imperativ der Sinnschöpfung

Will man im Blick auf die globale Zivilgesellschaft und den weltweiten Austausch nicht nur auf Globalisierung im Sinn des Austauschs von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch auf Begegnungen von Menschen und den Austausch von Ideen, Werten und Zielen zurückgreifen, dann ist es-wie bereits ausgeführt-sinnvoll, über einzelne religiöse Traditionen hinaus zu gehen. Damit kommt der Begriff der Menschenwürde auch aus dieser ergänzenden Perspektive als Leitbegriff der Unternehmensethik ins Spiel.

Es ist zwar richtig, dass auch die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 und der mit ihr verbundene Begriff der Menschenwürde auf kontrastierende Universen der Auslegung trifft. Die Diskussion um den möglichen Rückzug von Google aus China im Januar 2010 zeigt aber, dass es sich eben nicht nur um eine allgemeine Floskel handelt, sondern um einen Bezugspunkt, der auch für praktische Handlungen und Entscheidungen maßgeblich geworden ist.

Die Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen durch einzelne Firmen ist kein hinreichendes Argument gegen den Leitbegriff der Menschenwürde in der Unternehmensethik. Die funktionale Logik des Wirtschaftens kann sich zwar vom Geist humanen Handelns immer wieder abkoppeln, und in den vielfältigen Formen von Ausbeutung, Missbrauch, Korruption und Zynismus geschieht dies auch Tag für Tag. Gleichwohl gilt auch für die Wirtschaft, dass sie auf übergreifende humane Zielwerte und Begründungssysteme angewiesen ist, die sie selbst nicht liefern kann.

In Zeiten des demographischen Wandels ist es in Deutschland und andernorts zu erwarten, dass die Knappheit des Angebots an qualifizierten Arbeitskräften zu einer Neubesinnung auf die Achtung eines humanen Betriebsklimas führt. Gerade die besonders attraktiven Arbeitsplätze-etwa in Unternehmensberatungen, bei Wirtschaftsprüfern und Anwälten­ zeigen aber auch, dass der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter häufig über die Kategorie des Sinns und der individuellen Potenzialentfaltung geht. Die Anerkennung gut geleisteter Arbeit ist ein Grundbedürfnis jedes Mitarbeiters, weit über finanzielle Anreize hinaus. Anders gesagt: Kein Unternehmen kann den Imperativ der Sinnschöpfung ignorieren, denn es würde im Wettbewerb zurückfallen.

Empirisch wahr ist allerdings auch, dass es Bedingungen extremer Arbeitslosigkeit, mörderischen Wettbewerbs, fehlender staatlicher Rahmenbedingungen inklusive schlecht entwickelter Gesetzgebung und Überwachung gibt, die Unternehmen dazu führen und verführen, hinter anerkannten Menschenrechtsstandards zurück zu bleiben. Auch dann gilt jedoch, dass die empirische Missachtung eines ethischen Standards nicht unbedingt bedeutet, dass die Leuchtturmfunktion legitimierender Standards grundsätzlich in Frage gestellt werden müsste.

Die Verbindung funktionaler wirtschaftlicher Tätigkeit mit einem subjektiv empfundenen Sinn im Rahmen individueller Lebensentwürfe schlägt die Brücke zum Begriff der Menschenwürde. Diese wird hier nicht nur als Wurzelgrund der Menschenrechte und als Eigenschaft gesehen, die jedem Menschen unabhängig von Geburt, Alter, Rasse, Religion, Geschlecht und sonstigen Eigenschaften zukommt.

Betrachten wir die Menschenwürde als Wurzelgrund für würdevolles Handeln, dann gewinnen wir darüber hinaus eine geistige Dimension des Wirtschaftens und der Wirtschaftsethik, die bislang häufig fehlt. Es geht dann um mehr als „Corporate Governance“, es geht um die Brücke zwischen der funktionalen Logik zweckrationalen Handelns in Wirtschaft und Gesellschaft und dem Anspruch auf humane Existenz, der eben auch die Dimension der Sinnschöpfung einschließt.

  1. Die Ausstrahlung der Menschenwürde auf Anspruchsgruppen, Zielkonflikte und Handlungsweisen von Unternehmen

Wenn wir genauer betrachten, in welcher Weise die ethische Leitidee der Menschenwürde in das alltägliche Verhalten von Unternehmen hinein spielt, dann lohnt sich die Unterscheidung unterschiedlicher Anspruchsgruppen. Dabei wird vorausgesetzt, dass ein Unternehmen eine auf Dauer angelegte soziale Einheit mit dem Zweck des Überlebens und mit der funktionalen Steuerungsgröße Gewinn darstellt.

Die arbeitsteilige Organisation eines Unternehmens folgt einem unternehmerischen Gründungsimpuls, der selbst in großen Konzernen wie Bosch, Siemens, Daimler oder Zeiss für das Unternehmen auf Dauer und über mehrere Generationen von großer Bedeutung bleibt. Zu bedenken ist allerdings, dass die übergroße Zahl von Unternehmen inhabergeführt und nur im Ausnahmefall über den Gründungsunternehmer hinaus Bestand hat.

Der Begriff der „Menschenwürde“ ist dabei der unternehmerischen Sphäre zunächst einmal fremd. Wenn jemand eine zündende Idee hat, die Ärmel hochkrempelt und sich für ein Unternehmen engagiert, stehen ganz andere Themen im Vordergrund: Verhandlungen mit Kunden, Lieferanten, Banken und Behörden, aber auch Alltagsprobleme bei der Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei der Einhaltung von Qualitätsstandards und von Lieferfristen und dergleichen mehr. Trotzdem gilt auch, dass sich ein Unternehmen und ein Unternehmer mit jedem Jahr des Bestehens-und ob jemand will oder nicht-einen Ruf erarbeitet, der sich bei den relevanten Personen herumspricht und der sich in verdichteten Alltagsurteilen spiegelt: „Bei dem kann man kaufen“. „Der zahlt zuverlässig“. „Die Ware ist einwandfrei“ und dergleichen mehr.

Unternehmerischer Erfolg ist dabei zunächst einmal eine Folge aus einer „Aufwärtsspirale des Vertrauens“, die sich aus der Abfolge positiver Erfahrungen mit einem Unternehmen ergibt. Die funktionale Seite des Wirtschaftens strahlt hier auf den funktionalen Korridor von Erwartungen aus: Der Lieferant erwartet pünktliche Zahlung der Lieferung, die Bank die störungsfreie Bedienung von Krediten, der Mitarbeiter regelmäßige Gehaltszahlungen, der Kunde pünktliche Lieferung in einwandfreier Qualität. Wer mit Buchhaltern spricht, wird in der Regel nicht mit lebensgeschichtlichen Anekdoten, sondern mit verbindlichen Zahlungszusagen punkten. Wer eine Reklamation vorbringt, der will keine Firmenbroschüren sehen, sondern will in seinem Anliegen ernst genommen werden. Menschenwürde im unternehmerischen Feld ist daher zunächst einmal Gegenstand einer funktionalen Engführung.

Dies ist aber nicht alles. Menschen gehen schließlich nicht in zweckrationalen Handlungen auf. Sie wollen selbst dort, wo es „nur“ um funktionale Verrichtungen geht, als Person mit anderen Personen interagieren. Es gibt in der trivialsten wirtschaftlichen Handlung einen humanen Kern, der nicht hintergehbar ist und der im Übrigen auch auf „Erfolg“ und „Scheitern“ im unternehmerischen Feld ausstrahlt.

Ein Beispiel: Ein junger Mitarbeiter im Lager eines Mittelständlers-nennen wir ihn Martin­ hatte aufgrund seiner freundlichen Wesensart zunächst die Sympathien seiner Kolleginnen und Kollegen. Kam es zu stressigen Situationen, etwa bei Auftragsspitzen, war der junge Mann allerdings regelmäßig krank. Feedbackgespräche brachten kurzfristige Besserung, aber es entstand immer wieder der Eindruck: „Das ist jemand, der sich die Hände nicht schmutzig macht.“ Nach drei Jahren hatte Martin den Rückhalt in der Mannschaft verloren und verließ das Unternehmen.

In dieser – wie in tausend anderen Situationen-geht es um die humane Quintessenz funktionaler Interaktionen, die das Spiegelbild von „Menschenwürde“ in der Wirtschaftspraxis ist. Da Menschen emotionale und rationale Faktoren kombinieren, kommt die Synthese aus Erfahrungen in Form von Gefühlen und emotional gefärbten Kommentaren zur Sprache: „Auf den kann man sich nicht verlassen“. „Der kennt nur sich selbst“ und dergleichen mehr.

Dieses Theorem von der humanen Quintessenz funktionaler Interaktionen schlägt die Brücke zum Zusammenhang von Menschenwürde und Unternehmertum. Sie gilt über Anspruchsgruppen, Hierarchien und Interaktionsstile hinweg und verdichtet sich in zusammenfassenden, immer auch subjektiv gefärbten Urteilen über Personen, Produkte und Unternehmen. Ob es sich um Autos, Windeln, Waschmittel oder Medizinprodukte handelt, ob es um einen Friseur, eine Drogeriemarktkette oder einen Steuerberater handelt: Immer geht es um die Rückbindung der Qualität von Interaktionen an einen Erwartungsstandard, der „objektive“ und „subjektive“ Kriterien miteinander verbindet.

Aus wirtschaftsethischer Perspektive ist genau diese Verbindung von „objektiver“ Leistung und „humaner Interaktionsqualität“ von Bedeutung. Weder der überfreundliche Schönredner noch der geniale, aber sozial inkompetente Maschinenbauer entsprechen dem anzustrebenden Standard. Weder der durchsetzungsschwache, aber freundliche Chef noch der fachkundige, aber arrogante Vorgesetzte entsprechen dem Ideal wirtschaftlicher Leistungserbringung und wirtschaftsethischer Vorbildfunktion. Und das Gesagte gilt von einzelnen Menschen in ihren Leistungsbezügen ebenso wie von Unternehmen als ganzen.

 

  1. Menschenwürde und die Besonderheit kleiner und mittlerer Unternehmen

Auch wenn das Gesagte analytisch korrekt ist, so bedeutet dies keineswegs, dass das Wort „Menschenwürde“ zum Alltag von Unternehmen gehört. Wirtschaft deckt Bedarfe unter der Bedingung von Knappheit. Sie kombiniert Produktionsfaktoren auf je einzigartige Weise, hat aber als Oberziel immer einen Gemeinwohlbeitrag durch die Förderung von Wohlstand und die Erfüllung subjektiver Bedürfnisse. Wirtschaft kann, anders gesagt, vom Ausgangs-und Zielpunkt des Humanen nicht abgekoppelt werden.

Dem könnte die einseitige Betrachtung eines Shareholder-Value Denkens entgegen gesetzt werden. Aber selbst unter diesen Voraussetzungen gilt der Rahmen der Legalität, also der Rückbezug auf Staat und Gesellschaft inklusive der in Gesetzen und Moralvorstellungen kodifizierten Werte und Normen. Andernfalls würden deutlich mehr Unternehmen in diejenigen Geschäfte investieren, die weltweit die besten Gewinnmargen versprechen: Waffenschmuggel, Drogenhandel und Prostitution.

Die Förderung der Menschenwürde als Wurzelgrund und Zielhorizont wirtschaftlichen Handelns muss dabei keineswegs von individuellen Gewinninteressen abgekoppelt werden. Ganz im Gegenteil: Die Begründung der Wirtschaftsethik in Verbindung mit Menschenwürde erlaubt es vielmehr, die Interessengeneigtheit nicht nur wirtschaftlicher Berufsgruppen auf den Punkt zu bringen. Schließlich sind auch Journalisten, Politiker, Kirchen-und Gewerkschaftsführer, aber auch Professoren, Lehrer, Künstler und Sportler ihren eigenen Interessen verpflichtet. Die Begründung der Wirtschaftsethik in Verbindung mit Menschenwürde erlaubt es sogar, im gegebenen Fall falsche Gegensätze und Ansätze institutioneller Heuchelei kritisch zu hinterfragen.

Im gleichen Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf die unternehmensethischen Besonderheiten kleiner und mittlerer Unternehmen. Aufgrund ihrer Größe bilden diese in der Regel keine Stabsfunktionen zur Corporate Governance oder gar zur CSR aus. Sie fördern beim einzelnen Mitarbeiter daher ein Gefühl umfassender Verantwortung vor dem Handicap knapper Zeit und mangelnder fachlicher Vertiefung. Spiegelbildlich geht es im Konzern zu: Der fachlichen Vertiefung steht eine stark fraktionierte Verantwortung gegenüber, bei der Fragen der persönlichen Zurechenbarkeit im Nirwana des Systemdenkens unterzugehen pflegen.

Kleine und mittlere Unternehmen haben, so gesehen, den Vorteil einer höheren persönlichen Zurechenbarkeit von Handlungen und Unterlassungen. Der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen, Handlung und Handlungsfolge ist direkter als im Großbetrieb. Gleichzeitig ist die Macht eines kleinen und mittleren Unternehmens begrenzt: Es gibt starken Wettbewerb, und die unternehmerischen Handlungsspielräume sind gelegentlich stark eingeschränkt, zumal in Zeiten der Krise.

Wesentlich ist hier nicht die Verklärung der einen oder der anderen Perspektive, sondern die glasklare Unterscheidung unterschiedlicher ethischer Herausforderungen, auf die die heutige wirtschaftsethische Literatur bislang nur in Ausnahmefällen eingeht.

  1. Menschenwürde und die Dialektik von Macht und Ohnmacht

Dabei gilt, ob im Konzern oder in kleineren Betrieben, immer wieder das Paradoxon von Macht und Ohnmacht. Denn zur anthropologischen Grundsituation gehört immer auch die Grenze unserer Einflussmöglichkeiten, gleich von welcher Perspektive aus wir urteilen und handeln: Verbraucher müssen Kompromisse in Kauf nehmen, weil industriell gefertigte Produkte Eigenschaften haben, die sie brauchen, aber nicht bekommen oder die sie bekommen, aber nicht brauchen. Lieferanten sind ohnmächtig gegenüber den Scherkräften der Marktentwicklung, so dass hochwertige Leistungen bei Überkapazitäten nicht mehr honoriert werden. Unternehmer sind ohnmächtig gegenüber der Entwicklung von Währungskursen, Rohstoffen oder gegenüber der Kreditvergabepraxis von Banken. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ohnmächtig gegenüber für sie nachteiligen Unternehmensentscheidungen, haben aber im Spielfeld der eigenen Handlungsreichweite Macht, die sie auch nutzen.

Die Dialektik von Macht und Ohnmacht gilt daher durchgängig auch im Raum des Wirtschaftlichen und der wirtschaftenden Subjekte. Auch hier eignet sich die Idee der Menschenwürde als Quelle und Ausgangspunkt wirtschaftsethischer Reflexion. Zum wirtschaftlichen Handeln gehört nämlich ganz grundsätzlich der Umgang mit Macht und Ohnmacht, gleich welche Position ich als einzelner oder als einzelnes Unternehmen einnehme. Kartellbehörden sind die Antwort auf gesellschaftlich unzuträgliche Machtkonzentrationen; Gewerkschaften setzen der Ohnmacht einzelner die Verhandlungsmacht der Tarifpartner entgegen.

Menschenwürde verankert die konkreten Fragestellungen rund um Macht und Ohnmacht und transzendiert sie als das je Andere von Macht und von Ohnmacht. Faszinierend an dieser Ableitung ist überdies, dass sie ja nicht nur für den Bereich des Wirtschaftlichen gilt, sondern in vielfältige andere, gesellschaftliche Bereiche von der Erziehung bis zur öffentlichen Verwaltung, vom Binnenraum der Familie bis zur großen Politik hineinragt.

  1. Schlussfolgerungen für die Unternehmensethik: Menschenwürde als Leitmotiv ethischer Glaubwürdigkeit für Wirtschaft und Unternehmen

Die Begründung der Unternehmensethik durch das Axiom der allen Menschen unabhängig von ihrer Rasse, ihrem Geschlecht, ihrer Religion und ihrem Alter gemeinsamen Menschenwürde ist ein innovativer Ansatz, der über die formale Erfüllung oder „Compliance“ anerkannter Regeln der Unternehmensführung (Corporate Governance) hinaus geht und der sich als strategisches Leitmotiv für die Ableitung ethischer sinnvoller und ethisch verwerflicher Handlungen eignet. Dabei geht dieser Ansatz über rein systemtheoretische Ableitungen der Wirtschaftsethik deutlich hinaus (K.Homann/F.Blome-Drees 1992).

Vorteilhaft an der Begründung von Wirtschaftsethik auf der Grundlage von Menschenwürde ist die Kombination von Wertschöpfung und Sinnschöpfung, die von wirtschaftlich tätigen Menschen regelmäßig gesucht und auch erlebt wird.

Die Verbindung von Menschenwürde und Unternehmertum eröffnet einen Raum des Denkens und Handelns, der objektive und subjektive Elemente miteinander verbindet und auf die humane Quintessenz funktionaler Interaktionen verweist.

Diese zeigt sich als Gefühl von Stimmigkeit dort, wo Wertschöpfung und Sinnschöpfung in der Balance sind, wo objektivierbare professionelle Leistungen und Standards mit einem humanen Mehrwert im Sinn gelingender Interaktionsqualität miteinander verbunden werden. Die humane Quintessenz funktionaler Interaktion zeigt sich aber auch dort, wo Störungen auftauchen, die zu negativen Urteilen führen-sei es in der Beziehung von Mitarbeitern zu ihrem Unternehmen oder im Verhältnis von Kunden und Lieferanten und dergleichen mehr.

Unternehmensethisch heißt das für kleinere und mittlere Unternehmen, sich strategisch auf das Handeln in wirtschaftlichen, aber auch humanen Wertschöpfungsketten einzustellen und am Aufbau von Vertrauens-, Reputations-und Glaubwürdigkeitskaskaden zu arbeiten. Denn im Rückgriff auf den Gedanken der Menschenwürde sind es gerade die „weichen“ Faktoren wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit und damit verbundene „Reputation“, die zum langfristigen unternehmerischen Erfolg führen.

Das Nachdenken über die grundlegenden Prioritäten beim eigenen wirtschaftlichen Handeln unterscheidet sich naturgemäß je nach der eingenommenen Perspektive. Gleichwohl begründet der Ausgangspunkt der Menschenwürde die generelle Forderung an Unternehmer und Unternehmen, die eigenen Wertekorridore zu entdecken, zu priorisieren und in Form einer gelebten Werteorientierung unternehmensintern und auch öffentlich zur Diskussion zu stellen (vgl. U.Hemel 2007).

Gerade weil der axiomatische Ausgangspunkt bei der Menschenwürde das wirtschaftliche Handeln immer auch transzendiert, eignet sich die Begründung der Wirtschaftsethik im Rahmen der Idee der Menschenwürde auch für den längst und immer wieder nötigen Brückenschlag zwischen dem Bereich des Wirtschaftlichen und dem Bereich der Gesellschaft insgesamt. Denn auch als globale Zivilgesellschaft müssen und dürfen wir uns immer wieder die Frage stellen: In welcher Gesellschaft und in welcher Welt wollen wir leben? Und was können wir tun, um humane Vorstellungen in Wirtschaft und Gesellschaft umzusetzen?

Literatur

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André Habisch, René Schmidpeter, Martin neureiter (Hrsg.), Handbuch Corporate Citizenship-Corporate Social Responsibility für Manager, Berlin-Heidelberg 2008

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Hanns Michael Hölz, Der UN Global Compact, in: A.Habisch 2008, 511-517 Karl.Homann/F.Blome-Drees, Wirtschafts-und Unternehmensethik, Göttingen 1992

Karl.Homann/Peter.Koslowski/C.Lütge, Wirtschaftsethik der Globalisierung, Tübingen 2005 Franz-Xaver Kaufmann, Globalisierung und Menschenwürde: Beherrscht die Ökonomie die Zukunft des Menschen? In: B.Dorst u.a. 2009, 145-165

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Bernd Noll, Wirtschafts-und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft, Stuttgart 2002

Bolko von Oetinger,/Tiha von Ghyczy, Tiha /Christopher Bassford, C. (Hrsg.), Clausewitz-Strategie denken– Das Strategieinstitut der Boston Consulting Group, München 2003 Horst Opaschowski, Deutschland 2030 – Wie wir in der Zukunft leben, München 2008

Norbert Pfitzer/Peter Oser (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Codex, Ein Handbuch für Entscheidungsträger, Stuttgart 2003 Ingo Pies/Martin Sardison, Wirtschaftsethik, in: N.Knoepffler u.a. 2006, 267-298

Michael E.Porter, Competitive Strategy – Techniques for Analyzing Industries and Competitors, New York 1980

Franz Josef Radermacher, Globalisierung gestalten, Berlin 2.Aufl. 2006

Max J.Ringlstetter, Organisation von Unternehmen und Unternehmensverbindungen, München 1997

Michel Robert, Strategy -Pure & Simple – How to build your own Strategy and Achieve Competitive Supremacy, Westport 2002

Carl W.Stern/George Stalke jr. (Hrsg.), Perspectives on Strategy from the Boston Consulting Group, New York 1998

Joel M.Stern/John S. Shiely/Irwin Ross, Wertorientierte Unternehmensführung mit Economic Value Added, München 2002

Christian Thies (Hrsg.), Der Wert der Menschenwürde, Paderborn 2009

Andreas Suchanek, Ökonomische Ethik, Tübingen 2001

Heinecke Werner, Win-Win, Agentur für globale Verantwortung, unveröffentlichtes Manuskript, Kirchheim/Teck 2010

 

Anhang: Die 10 Grundsätze des UN-Global Compact zu Menschenrechten, Arbeitsbeziehungen, Umwelt und Korruption

  • Die Mitglieder unterstützen und respektieren den Schutz der international verkündeten Menschenrechte und
  • Stellen sicher, dass sie sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligen
  • Die Mitglieder wahren die Vereinigungsfreiheit sowie die wirksame Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen und treten ein für
  • Die Beseitigung aller Formen der Zwangs-und Pflichtarbeit,
  • Für die tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit und
  • Für die Beseitigung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.
  • Die Mitglieder gehen umsichtig mit ökologischen Herausforderungen um,
  • Führen Initiativen zur Förderung eines verantwortlichen Umgangs mit der Umwelt durch und
  • Setzen sich für die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien ein.
  • Die Mitglieder gehen gegen alle Formen der Korruption vor, einschließlich Erpressung und Bestechung.

(Übersetzung nach H.Hölz 2008, 512).

 

 

 

 

 

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Posted by Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel

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