Abstract [de]: Das Epochenthema „Globalisierung“ befindet sich in der Krise, u.a. deshalb, weil es bislang zu sehr aus wirtschaftlicher Perspektive untersucht wurde. Trotz Klimawandel, und der Kommunikationsrevolution ist die Gestaltung der globalen Zivilgesellschaft nicht in den Vordergrund gerückt. Die Gesellschaft in der wir leben zeichnet sich durch hohen Orientierungsstress und wachsender Unsicherheit gegenüber der Zukunft und einem schwindenden Wertekonsens aus. Dies steht im krassen Widerspruch zum menschlichen Bedürfnis nach Stabilität und Stetigkeit. Eine hohe Risikotoleranz und der Umgang mit hoher Unsicherheit zu leben, sind Aufgaben der gegenwärtigen Generation. Aus diesem Grund lohnt es sich, grundsätzliche Überlegungen zum Umgang des Menschen mit Veränderungen anzustellen.


Juni 2010

Bereit für den Wandel, bereit für die Zukunft?

Umgang mit Veränderungen als Lebens- und Lernaufgabe!

Wer bereit für die Zukunft sein will, muss sich nach seiner Ausgangslage fragen. Wer die heutige Welt betrachtet, wird schnell feststellen, dass die Krise zum Dauerzustand geworden ist, ob es nun um politische Krisen wie im Nahen Osten oder um die Weltwirtschaftskrise geht. Das Epochenthema der Globalisierung ist selbst in die Krise geraten, auch weil es zu stark wirtschaftlich wahrgenommen wurde. Die Aufgabe der Gestaltung einer globalen Zivilgesellschaft ist daher trotz Klimawandel, Internet und Mobiltelefon noch gar nicht in den Vordergrund der Aufmerksamkeit gerückt.

Wir leben also in einer Gesellschaft mit hohem gesellschaftlichem Orientierungsstress, mit wachsender Unsicherheit gegenüber der Zukunft und schwindendem Wertekonsens. Dies widerspricht unserem menschlichen Bedürfnis nach Stabilität und Stetigkeit. Wir müssen uns aber auch in Zukunft auf hohe Risiken und unwahrscheinliche Ereignisse einstellen: Die Wasser-, Energie- und Klimakrise wird unser Wohlstandsniveau beeinflussen. Der ökologische Wandel des Wirtschaftslebens nimmt zu. Menschen besinnen sich verstärkt auf für sie überschaubare Bereiche wie die Familie, die Kommune, den Verband von Gleichgesinnten. Daraus ergeben sich selbstverständlich auch Chancen für den KKV!

Aufgabe der gegenwärtigen Generation ist eine hohe Risikotoleranz. Wir müssen lernen, mit ergebnisoffenen Prozessen und hoher Unsicherheit zu leben, denn das Leben in einer unsicheren Welt erfordert das Denken in gegensätzlichen Szenarien. Wir wissen nicht, ob die technische Innovation ausreichen wird, um die gewaltigen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern, etwa mit neuen Formen der Mobilität. Wir wissen nicht, ob wir in eine Welt zunehmender Radikalisierung und Gewaltbereitschaft hineinstolpern oder ob es der Menschheit gelingt, globale Menschenrechte sowie definierte Mindeststandards für Minderheiten durchzusetzen.

Aus diesem Grund lohnt es sich, grundsätzliche Überlegungen zum Umgang des Menschen mit Veränderung anzustellen. Der Mensch als soziales Wesen und als Individuum schwankt immer wieder zwischen Vernunft und irrationalem Überschwang, zwischen Rationalität und Emotionalität. Dabei sind Emotionen enorm wichtig, denn jeder Mensch lebt aus dem emotionalen Gleichgewicht zwischen Zugehörigkeit und Unterscheidung: Er will Teil einer Gemeinschaft sein (Zugehörigkeit, Kooperation), aber er will sich auch von anderen in einzigartiger Weise unterscheiden (Mode, Sport, wirtschaftlicher Wettbewerb).

Was den Umgang mit Veränderungen betrifft, so gilt es zu verstehen, wie wir Veränderungen in unserer Welt wahrnehmen und verarbeiten. Dazu verwenden wir regelmäßig den Spiegel individueller und kollektiver Auffassungen, eine Art von „mentalem Rahmen“, der uns eine erleichterte Signalverarbeitung ermöglicht. Letztlich kann man hier von der produktiven Rolle von „Weltbildern“ sprechen, die vom Einfachsten bis zum Komplexesten gehen. So gibt es Menschen, die grundsätzlich schwarz sehen und eine Art von „Katastrophenbrille“ aufsetzen eben so wie Menschen mit rosaroter Grundeinstellung, die die Welt durch eine Art von „Optimismusbrille“ anschauen.

Welcher Blick der richtige ist, lässt sich nicht ohne weiteres sagen, da sich harte Fakten für beide Einstellungen finden lassen. Wir können unsere persönlichen Werte aber in einer Art von „Wertelandschaft“ zusammenfassen, die uns Vorfahrtsregeln für Entscheidungen erlauben und die unseren Umgang mit geplanten, aber auch mit ungeplanten Veränderungen prägen.

So war es für die ältere Generation, die in den 20er und 30er Jahren geboren sind, ein weiter Weg vom Familienbild der Nachkriegszeit bis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer.

Als neue Aufgabe steht uns bevor, ein angemessenes Bild für den wirtschaftlich handelnden Menschen zu finden. Hier waren wir in den letzten Jahren sehr stark von der Diskussion rund um den Shareholder Value geprägt. Im Hintergrund stand das Menschenbild des wirtschaftlich rational handelnden Menschen, des homo oeconomicus. Nicht zuletzt aufgrund der Neurowissenschaften und der verhaltensorientierten Wirtschaftswissenschaft wird dieses Bild in der Zwischenzeit doch sehr in Frage gestellt. Der Mensch ist eben auch im Wirtschaftlichen gelegentlich ein „Herdentier“. Und er ist nicht nur einseitig auf Wettbewerb hin ausgelegt, sondern auf den Zusammenklang von Wettbewerb und Kooperation!

Erzwungene und plötzliche Veränderungen bewirken häufig Angst, Panik, Lähmung oder Schreckstarre- aber auch die Mobilisierung von Ressourcen. Dabei geht es immer wieder auch um angemessene Bilder von der Welt: Wie ordne ich krisenhafte Veränderungen in meinen mentalen Rahmen ein („Framing“), und wie kann ich sie bewältigen („Coping“)?

Im persönlichen Lebensraum erfahren wir krisenhafte Veränderungen in der Gesundheit (plötzliche Krankheit, Unfälle, Behinderung), in der Familie (Geburt und Tod) oder im finanziellen Bereich (plötzlicher Vermögensverlust). Und jeder Mensch hat seine eigene Geschwindigkeit im Umgang mit Veränderungen, die man ihm lassen muss. Für den einen sind bestimmte Veränderungen schon ein riesiger Stress, während der andere noch über „Langeweile“ klagt. Das richtige Maß an Veränderung ist eben auch ein Teil des persönlichen Lebensstils- selbst wenn nie alles planbar sein wird.

Der Umgang mit Veränderung ist eine Lern- und Lebensaufgabe in jedem Lebensalter. Das rationale Abwägen von „Gewinn“ und „Verlust“ an Lebensmöglichkeiten gehört ebenso dazu wie die Fähigkeit, über Verlorenes angemessen zu trauern und die Fähigkeit zum Neuanfang in Zuversicht und Gelassenheit.

Speziell im Blick auf eine christliche Weltsicht haben wir guten Grund für eine solche Einstellung. Der Gedanke der Gottebenbildlichkeit verhilft uns dazu, unsere Vernunft- und Liebesfähigkeit zu entfalten. Die besondere Chance katholischer Weltsicht besteht in der Orientierung am Wesentlichen: wir sind weder die erste noch die letzte Generation auf der Welt. Katholische Weltsicht entlastet uns vom Machbarkeitswahn und befähigt uns zu einer besonderen Art der Informationsverarbeitung mit Blick auf Zeit und Ewigkeit. Denn wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott es gut mit uns meint.

Aus dieser Einstellung erwächst die Befähigung zu echter Verantwortung vor Gott und den Menschen. Dabei gilt es stets, die Chancen und die Grenzen der eigenen Handlungsreichweite zu beachten. Auch im Wirtschaftlichen gilt: Systeme prägen, Menschen entscheiden. Wir können und dürfen uns daher der Verantwortung für unser Handeln uns seine Folgen nicht entziehen!

Letztlich geht es um eine Balance aus individuellem Glück und Gemeinsinn. Gerade ein Verband wie der KKV kann seinen Mitgliedern dazu verhelfen, gläubige Zukunftsoffenheit in Anspruch und Zuspruch zu leben. In diesem Sinn möchte ich Sie alle zu gläubiger und weltoffener Gelassenheit im Umgang mit ihren je eigenen Lebens- und Veränderungsaufgaben ermutigen!

LITERATUR:

Jared Diamond, Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, 2. Aufl. Frankfurt/M. 2008

Ulrich Hemel, Wert und Werte, Ethik für Manager, 2.Auf. München 2007

Nicholas Taleb, Der schwarze Schwan, München 2008


Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Instituts für Sozialstrategie ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Publikationen des IfS unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung. Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen und Autoren wieder.

Posted by Anne Häseker

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert