Abstract [de]: Unternehmerische Verantwortung (CSR) lässt sich am besten dann definieren, wenn man über das ökonomische Verständnis von Unternehmen hinausgeht und sie als handlungsfähige Akteure der globalen Zivilgesellschaft begreift. Nimmt man dann noch die wirtschaftlichen Randbedingungen wie Knappheit, Gewinnstreben, Wettbewerb, Kooperation und Wohlstandsmehrung hinzu, lassen sich unter dem Imperativ der Menschenwürde Wertestrategien entwickeln, die mehr sind als nur Codizes auf der Corporate-Website. Sie können dann Ausdruck gelebter Verantwortung sein, die die Unternehmen wieder in die gesellschaftliche Sphäre zurückholen.


August 2011

Menschenwürdiges Handeln als Leitmotiv für wirtschaftliche Akteure der globalen Zivilgesellschaft

Ansätze zu einer habituellen Unternehmensethik

Die schwierige Abgrenzung von CSR

Die mit dem Stichwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) angesprochene Verantwortung von Unternehmen in der und für die Gesellschaft hat Kräfte freigesetzt, durch die Unternehmen über die Produktion und den Vertrieb ihrer Produkte hinaus soziale Legitimität und Anerkennung erringen wollen. Dies hat zu zahlreichen sinnvollen Projekten und Initiativen, aber auch zum Aufblühen von „Social Entrepreneurship“ im Sinn der Kombination wirtschaftlicher und sozialer Ziele geführt. 

Andererseits ist der Inhalt des Begriffs „CSR“ in vielen Fällen eher vage und schwammig. Dies fängt damit an, dass CSR-bezogenes Handeln nicht eindeutig von anderen Formen verantwortlichen Handelns abzugrenzen ist. Fällt beispielsweise eine innovative, menschenfreundliche und leistungsgerechte Personalpolitik unter CSR? Wohl eher nein. Die Einrichtung eines Betriebskindergartens oder die Gewährleistung von Unterstützung bei der Pflege kranker Familienmitglieder? Wohl eher ja. 

Nun könnte man nach einer gemeinsamen Basis sinnvollen unternehmerischen Handelns suchen und diese dann auf eine ausgearbeitete und gelebte Strategie beziehen. Dies ist auch sinnvoll – doch bleibt die Frage nach dem idealen Umfang von CSR-Aktivitäten auch dann unbeantwortet. Schließlich gibt es keine quantitative Regel wie etwa „0,7 Prozent des Umsatzes fließen in CSR-Maßnahmen“, die auf generellen Konsens stößt oder auch nur ernsthaft diskutiert wird.

Abgrenzungsschwierigkeiten und sinnvoller Umfang von CSR-Maßnahmen verweisen aber auf ein grundlegenderes Thema: Warum soll ein Unternehmen überhaupt soziale Verantwortung übernehmen?

Die Frage ist nicht so trivial, wie sie klingt. Noch vor wenigen Jahren machten geflügelte Worte der neoliberalen Chicago School (nach Milton Friedman) die Runde, wo es hieß „The business of business is business“ – also, frei übersetzt: „Die Sache der Wirtschaft ist es, Geschäfte zu treiben.“

Im Sinn der Selbstbeschränkung auf den eigenen Wirklichkeitsbereich ist dies übrigens nach wie vor bedenkenswert, aber eben nicht ausreichend. Mit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ist die Gesellschaft insgesamt von einem rein selbstreferenziellen Selbstbild abgerückt. Kristallisiert im Stichwort „CSR“ fordert sie von Unternehmen einen deutlicheren Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Will man dies nicht einfach zur Kenntnis nehmen, lohnt sich die Frage: Warum eigentlich? Anders formuliert: Warum sollten Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung tragen? Und warum sollten sie ökologische und soziale Werte beachten?

Unternehmen als Akteure der Zivilgesellschaft

Die Schwierigkeit bei Begründungsfragen liegt darin, dass sie offensichtlich über wirtschaftliche Argumentationsreihen auf philosophisches Gebiet ausgreifen. 

Es muss allerdings kein Schaden sein, Denkwerkzeuge der Philosophie stärker als bisher auf wirtschaftliche Zusammenhänge anzuwenden. Dabei möchte ich zwei Begriffe in den Vordergrund rücken: den der Zivilgesellschaft und den des Handelns.

Wendet man sich von einer rein sektoralen Betrachtung gesellschaftlicher Subsysteme wie Wirtschaft, Politik, Religion, Bildung und Wissenschaft ab, dann kommt unter anderem die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ins Spiel, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel im 19. Jahrhundert grundgelegt hat. In den letzten Jahren ist insbesondere der Begriff der Zivilgesellschaft als Ausdruck für alle Formen nichtstaatlichen Handelns in den Vordergrund gerückt (vgl. M.Walzer 1995, J.Keane 2003, L.F.Krebs u.a. 2009). Menschen verwirklichen sich demnach in unterschiedlichen Rollen in der zeitgenössischen Zivilgesellschaft: Sie sind Mitbürger, Lebenspartner, Eltern, Konsumenten, Wähler, aber eben auch Beschäftigte oder Selbstständige.

Zu den zivilgesellschaftlichen Akteuren gehören aber nicht nur natürliche Personen, sondern auch übergreifende Einheiten wie etwa juristische Personen, Institutionen, Stiftungen, Vereine und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und – eben – Unternehmen. Begreift man Unternehmen als Akteure der lokalen und globalenZivilgesellschaft, dann finden wir eine begriffliche Brücke, welche die Verantwortung von Unternehmen für die Gesellschaft umfassender als bisher begründen hilft. 

Unternehmen handeln nämlich im Kontext der Zivilgesellschaften, in denen sie tätig sind, und in diesem Rahmen sind sie auch für ihr Handeln verantwortlich. Das „Handeln“ von Unternehmen stützt sich maßgeblich auf Personen, die das Unternehmen vertreten – von Vertriebsmitarbeitern bis zu Vorständen, von ausgelagerten Callcentern bis zu Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern im Auftrag des Unternehmens. 

Über einzelne Personen hinaus führt das Handeln von Unternehmen (die  letztlich ja auch „juristische Personen“ sind) auf einen Prozess der Willensbildung oder zumindest der sanktionsfreien Toleranz zurück, der letztlich zur Erkennbarkeit und Zurechenbarkeit des „Handelns“ zu einem Unternehmen führt. 

Damit stoßen wir zum Kern unternehmerischer Verantwortung vor. Wenn wir nämlich wirtschaftliches und unternehmerisches Handeln im Licht einer Handlungstheoriebetrachten können, sind auch alle damit verbundenen Fragen legitim, insbesondere die Frage nach dem humanen Kern und der gesellschaftlichen Verantwortung unternehmerischer Akte (vgl. H.Peukert 1978).

Die Anwendung von Kategorien einer Handlungstheorie auf Unternehmen ist nicht selbstverständlich. Es könnte ja behauptet werden, nicht Unternehmen, sondern nur einzelne Personen eines Unternehmens könnten handeln. Dagegen spricht aber die schon erwähnte, generelle Auffassung von Unternehmen als einer juristischen Person, aber auch die Beobachtung, dass Handlungen und Unterlassungen tatsächlich dem Unternehmen als eigenständigem sozialen System zugeordnet werden.

 „Unternehmenshandlungen“ geschehen daher nicht im luftleeren Raum, sondern sind Ergebnis eines historischen und beschreibbaren Willensbildungsprozesses im Unternehmen, der den handelnden Personen gar nicht bewusst sein muss, um wirksam zu werden. 

Gelingt es aber, Handlungen eines Unternehmens zu identifizieren, dann wird auch eine inhaltliche, beispielsweise an der Menschenwürde orientierte Kritik solcher Handlungen möglich, und zwar unabhängig vom immer mitzudenkenden Motiv des Gewinnstrebens, des Wachstums und des Überlebens eines Unternehmens!

Den Vorteil dieser Brücke zwischen der pragmatischen Handlungssphäre von Unternehmen und der diskursoffenen Betrachtung der Legitimität, des Sinns und der Moralität von Handlungen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn in den 20 Jahren vor der Finanzkrise 2008/2009 hatte sich der Bereich des Wirtschaftlichen so weit von anderen gesellschaftlichen Sphären entfernt, dass man fast von einem „Symptom der getrennten Welten“ zwischen Wirtschaft, Staat, Wissenschaft und Gesellschaft hätte reden können. 

Unternehmerische Verantwortung und Menschenwürde (I): Wirtschaften als zweckrationales Handeln unter Bedingungen der Knappheit

Nun ist das Handeln von Unternehmen auf den ihnen eigenen Bereich des Wirtschaftens verwiesen, wo es speziell um ein zweckrationales Handeln unter den Bedingungen der Knappheit geht. Philosophisch gesehen, ist die Definition des Wirtschaftlichen als Handeln unter den Bedingungen der Knappheit von hoher anthropologischer Dignität. Sie umfasst nämlich auch Handlungsklassen, die nicht monetär bestimmt sind. 

Zur Sphäre des Wirtschaftlichen gehören nämlich auch historische Erfahrungen wie etwa das Wirtschaften der Jäger und Sammler in der Steinzeit (Knappheit der für die Ernährung verfügbaren Kalorien) wie auch das Wirtschaften der überwiegend von Subsistenzwirtschaft geprägten Bauern des europäischen Mittelalters und – teilweise- der afrikanischen Neuzeit. Im einen Fall spielte Geld gar keine Rolle, im anderen eine untergeordnete. 

Dass es auch heute noch Erfahrungen und Lebensbereiche gibt, die aus der naturgegebenen Erfahrung der Knappheit an Zeit, Energie und sonstigen verfügbaren Mitteln heraus und in die Geldwirtschaft hinein ragt, zeigt beispielsweise die Einführung der Pflegeversicherung. Alte und Kranke zu pflegen, war lange Zeit Aufgabe der Familie, genauer: der Frauen in den Familien. Ändern sich die sozialen Verhältnisse und die Familienstrukturen, müssen andere Lösungen gefunden werden. Die Einrichtung einer Pflegeversicherung ist eine gesellschaftliche Antwort auf die Knappheit der verfügbaren Lebenszeit von Familienfrauen. Die eine Knappheit wird nun durch eine andere, die Knappheit des Geldes oder der verfügbaren monetären Mittel abgelöst.

Das wirtschaftliche Handeln unter Bedingungen der Knappheit ist sehr wohl und vom Grundsatz her verantwortungsgeprägt, nicht zuletzt vom Motiv der Fürsorge von Menschen für andere Menschen.

Unternehmerische Verantwortung und Menschenwürde (II): Gewinnstreben und Wohlstandsmehrung

Eine weitere Besonderheit wirtschaftlichen Handelns ist das ökonomische Motiv des Gewinnstrebens, weiter gefasst: der Wohlstandsmehrung. Handeln zugunsten von Gewinn und Wohlstand ist eine Handlungsklasse, die sich im Blick auf den Kontext der Zivilgesellschaft nicht für beliebige Akte heranziehen lässt: Es muss um ein Handeln gehen, das zumindest die Grundregeln der Legalität, vom inneren Anspruch her aber auch den Maßstab der maximalen Humanität verwirklicht.

Fördert wirtschaftliches Handeln nämlich den Wohlstand, lässt sich sehr wohl im ökonomischen Sinn argumentieren, dass bei gleichem Ergebnis dasjenige Handeln sinnvoller und auch wirtschaftlich besser ist, welches geringere Schadenswirkungen für Mensch und Natur oder – umgekehrt – höhere Nutzenwirkungen durch Förderung von Menschlichkeit und Nachhaltigkeit umfasst. Mit den Begriffen „Wohlstand“ und „verantwortliches Handeln in der Zivilgesellschaft“ gewinnen wir folglich normative Maßstäbe für wirtschaftliches Handeln, die ökonomische Rationalität nicht ersetzen, aber von Anfang an über sie hinausgehen.

Ökologische und soziale Parameter als Stellgrößen eines ökonomischen Nutzenkalküls

Durch die Verbindung mit dem allgemeinen Paradigma des Wirtschaftlichen als einem rationalen Handeln unter Bedingungen der Knappheit, aber auch durch die normative Forderung nach möglichst geringen Schadenswirkungen für Mensch und Natur, zumindest bei einem „Gleichstand“ des sonstigen ökonomischen Nutzens geraten ökologische und soziale Erwägungen in den grundsätzlichen Denkhorizont des Wirtschaftlichen im Kontext einer monetär  ausgestalteten Marktwirtschaft.

Selbst wenn die Forderung nach dem geringst möglichen Schaden zumindest bei Gleichstand des sonstigen ökonomischen Nutzens als schwache Forderung gelten könnte, so ist sie doch in ihrer theoretischen und anthropologischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Gehören nämlich soziale und ökologische Fragen grundsätzlich zum ökonomischen Gesamtkalkül, dann kommen sie nicht irgendwann später „zusätzlich“ als Systemgrenze dazu, sondern sind schon vom immanenten Anspruch her Teil des ökonomischen Denkens und Handelns.

Noch weiter: Die Beachtung des Sozialen und des Ökologischen als Vorzugsrichtungen des Handelns „zumindest“ bei Gleichstand des ökonomischen Nutzens ist aus anthropologischer Sicht realistisch, weil sie auf die condition humaine zurückgreift und praxisnahe Verhaltens- beobachtung erlaubt. Häufig machen Unternehmen beispielsweise die Erfahrung: „Die Kunden wollen ökologische Produkte, aber nur, wenn sie nicht mehr kosten“. Dass es Menschen gibt, die um sozialer oder ökologischer Anliegen willen auch eine höhere Zahlungsbereitschaft aufweisen, ist völlig richtig und wird durch die „Mindestparameter“ der Beachtung des Sozialen und Ökologischen bei sonst gleichem ökonomischen Nutzen nicht tangiert. Denn niemand muss hier ausschließen, dass für einzelne andere, vielleicht auch höhere Standards gelten können.

Darüber hinaus zeigt das Minimalprinzip des Sozialen und Ökologischen die Aufgabe von Staat und Gesellschaft auf, einen solchen Legalrahmen des unternehmerischen Handelns bereit zu stellen, der durch Mindeststandards gewährleistet, dass das ökonomische Nutzenkalkül gegenüber anderen Werten und Wirklichkeitsbereichen nicht zu seinem eigenen Schaden (!) die Oberhand gewinnt.

Der implizite Imperativ der Personal- und Organisationsentwicklung und die Aufgabe einer unternehmerischen Wertestrategie

Kommen wir zurück zur unternehmerischen Sphäre. Das Theorem vom ökologischen und sozialen Nutzenkalkül bei sonst gleichem ökonomischen Nutzen und das Interesse von Unternehmen an Wohlstand haben nämlich konkrete Folgen. Es lässt sich sogar die These aufstellen, dass das Interesse von Unternehmen an Wohlstand und menschlicher Entfaltung zu einem impliziten Imperativ der Personal- und Organisationsentwicklung im Unternehmen führt. 

Dies wiederum umfasst zwangsläufig einen Umgang mit gesellschaftlichen und ethischen Werten, von dem zumindest eines zu sagen ist: Ökonomisch ist es sinnvoller, eine bewusste Wertestrategie zu wählen, als sich den Zufällen einer richtungslosen Pluralität von Akteuren im Unternehmen zu überlassen.

Eine Wertestrategie, die sich dem bewussten Abgleich zwischen den gewollten Spitzenwerten in der Wertelandschaft eines Unternehmens verschreibt, wird letztlich zu einem Teil der unternehmerischen Gesamtstrategie. Vorausgesetzt wird dabei eine explizite Entscheidung der Unternehmensleitung zur Heraushebung relevanter Spitzenwerte, denn weder Innovation noch Kundenorientierung noch die Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette sind für alle Unternehmen von gleicher Bedeutung. Eine ausdrückliche Rangfolge von Spitzenwerten gehört daher zu den Definitionsaufgaben guter, damit aber auch ökonomisch erfolgreicher Unternehmensführung.

Ethische Werte werden durch ihre Beachtung im unternehmerischen Kontext nicht entwertet, sondern auf einen speziellen funktionalen Handlungsrahmen im Unternehmen bezogen, ohne in ihm aufzugehen.

Nun wären Unternehmen überfordert, wenn sie hohe philosophische Diskussionen führen müssten. Zu fragen ist also, in welcher Weise eine normative Grundlage für die Ausgestaltung einer unternehmenseigenen Wertestrategie zu gewinnen wäre. 

Menschenwürde als Grundwert und als Auslegungshorizont einer unternehmerischen Wertestrategie

Will man eine Wertestrategie formulieren, die im Rahmen unserer Zivilgesellschaft konsensfähig ist, dann steht für die meisten Unternehmen (anders als bei der Caritas, der Diakonie oder dem Arbeitersamariterbund) nicht der Rückgriff auf eine politische oder religiöse Weltanschauung im Vordergrund. 

Viel eher ist der in Artikel 1 des Grundgesetzes niedergelegte und auch im Global Compact der Vereinten Nationen verwendete Begriff der Menschenwürde als Auslegungshorizont für unternehmerisches Handeln geeignet – eben weil Menschenwürde universell und inklusiv ist. 

Dies entspricht auch der Realität gerade der global wirkenden Unternehmen (vgl. K.Leisinger, 2007), die mit dem Global Compact erstmals ein ausformuliertes Wertefundament in zehn Leitsätzen vorfinden, das für viele von ihnen anschlussfähig wird und das ihre Rolle als Akteure der globalen Zivilgesellschaft unterstreicht.

Menschenwürde als Definitionsrahmen für Mindestanforderungen an die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen

Wenn unternehmerisches Handeln im Sinn der vorangegangenen Argumentation zu einer bereichstypischen Auslegung von Menschenwürde unter dem Blickpunkt von Wohlstand und humaner Entfaltung führt, gewinnen wir sowohl Kriterien für eine Wertestrategie als auch für Mindestanforderungen an die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.

Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen liegt, so gesehen, in der Realisierung von menschenwürdigem Handeln unter den Bedingungen der Knappheitmit dem Ziel der Förderung von Wohlstand.

Der Begriff der bereichstypischen Auslegung von Menschenwürde bezeichnet eine wesentliche argumentative Innovation. Er geht aus von verschiedenen Bereichen der Angewandten Ethik (Knoepffler, 2009). Die Anwendung einer umfassend verstandenen Handlungstheorie ermöglicht es ja in der Tat, Sinn- und Wertkriterien auch an unternehmerisches Handeln anzulegen, dabei aber die spezifischen und bereichstypischen Gesetze des Wirtschaftslebens einzubeziehen. Dies ist möglich, ohne inhaltliche, an einer Auslegung der Menschenwürde orientierte Kriterien hintanzustellen.

Habituelle Unternehmensethik in der globalen  Zivilgesellschaft

Damit wird auch gesagt, was unternehmerisches Handeln nicht ist und nicht sein kann: Es ist nämlich nicht verantwortlich für das politisch zu leistende Setzen und Durchsetzen von gesetzlichen Rahmenbedingungen, auch und gerade im Blick auf das Interesse an gesellschaftlicher Gleichheit, Fragen des Steuerrechts, der Umverteilung von „Reich“ zu „Arm“ und dergleichen. 

Unternehmen sind weiterhin nicht primär verantwortlich für ein gegebenes kulturelles Werteklima im Kontext ihrer Zivilgesellschaft. Als Akteure der Zivilgesellschaft wirken sie allerdings – im Sinn eines dynamischen Regelkreises – auf ihre Gesellschaft zurück und nehmen Einfluss auf gesellschaftliche Wert- und Sinnfragen. So ist es beispielsweise bemerkenswert, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit heute von Unternehmen aktiv befördert wird – so sehr, dass hier ein sich verstärkender Regelkreis mit der Gesellschaft entstehen kann (vgl. E.Günther 2008).

Was tragen nun diese Gedanken zum Ansatz einer habituellen Unternehmensethik bei?

Wer diese Frage beantworten will, tut gut daran, einen Blick auf die Definition des Begriffs der  „habituellen Unternehmensethik“ zu werfen. Der Begriff des Habitus oder des Habituellen wird hier analog zur alltagssprachlichen Verwendung von Gewohnheit und Gewohnheiten gebraucht. Wiederholte Handlungen führen zu einer Haltung; Haltungen sind die Quelle konkreter, punktueller Handlungen. Neu am Begriff der habituellen Unternehmensethik ist die Übertragung des Habitus-Begriffs auf die systemische Sphäre eines Unternehmens. Unterstellt wird also, dass es so etwas wie „systemische Gewohnheiten“ gibt, die ein Korsett oder einen „Wertekorridor“ für Handlungen darstellen, die im Unternehmen akzeptiert oder gerade nicht akzeptiert werden. 

Ein Beispiel mag das Gesagte veranschaulichen: Unternehmen A hat wie Unternehmen B mehrere Standorte im Ausland, auch in Indien und China. Unternehmen A verfährt nach dem Motto „Wir halten uns an die lokalen Gesetze, gehen aber nicht über sie hinaus.“ Unternehmen B wiederum hat sich die Devise gegeben: „Einheitliche Sozial- und Umweltstandards erleichtern die Unternehmensführung und stärken die Glaubwürdigkeit der Firmengruppe“. Werden diese beiden, unterschiedlichen Haltungen zu „systemischen Gewohnheiten“, entsteht eine unternehmensinterne „Normalität“. In beiden Unternehmen gibt es einen regen Austausch von Mitarbeitern und Führungskräften, beispielsweise zu regelmäßigen Treffen in der Zentrale. Bei Unternehmen A wird- auch ohne reflektierende Kommentare- der Eindruck entstehen: „Es wird mit zweierlei Maß gemessen; und die oberste Wahrheit geht von der Zentrale aus“. Im Unternehmen B wird hingegen der Eindruck entstehen „Wir haben gemeinsame Werte und Ziele, auch wenn wir in unterschiedlichen Ländern arbeiten“.

Nun soll an dieser Stelle von einer ethischen Bewertung unterschiedlicher Formen des unternehmerischen Habitus Abstand genommen werden. Gezeigt werden sollte aber, dass eine solche Bewertung sehr wohl möglich, und vielleicht sogar geboten ist. Die „systemische Gewohnheit“ fällt schließlich nicht vom Himmel, sondern ist Frucht konkreter unternehmerischer Entscheidungen, die in ihrer wirtschaftlichen, aber auch unternehmensethischen Angemessenheit der kritischen Reflexion sehr wohl zugänglich sind.

Das Bedürfnis nach ethischer Reflexion spiegelt sich daher nicht nur, aber auch im Stichwort „CSR“. Es kann als Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses gesehen werden, Unternehmen wieder zurück in die Sphäre gesellschaftlicher Verantwortung, aber auch in die Arena  gesellschaftlicher Diskussionen zu holen. 

Dass CSR-Themen besonders bei Banken und Pharmaunternehmen hohe Akzeptanz finden, wirkt allerdings gelegentlich wie eine moderne Form des mittelalterlichen Ablasshandels. 

Sinnvolle CSR-Konzepte zeichnen sich jedenfalls dadurch aus, dass sie professioneller Teil einer umfassenden, vom Management gewollten und gelebten Wertestrategie sind, die ihrerseits mit der Gesamtstrategie eines Unternehmens eng verbunden ist. Gelegentlich spricht man hier bereits vom „Shared Value“ (Michael Porter/Mark Kramer, 2011). Wird eine Wertestrategie verfolgt, ergeben sich daraus zwangsläufig Rückwirkungen auf erwünschte Formen systemischer Gewohnheit. Sie können letztlich zu einer Phänomenologie und Typologie habitueller Unternehmensethiken hin entfaltet werden.

Schluss: Normative Implikationen wirtschaftlichen Handelns unter dem Leitbegriff der Menschenwürde

Es ist jedenfalls viel gewonnen, wenn die normative Forderung nach menschenwürdigem Handeln unter den ökonomischen Bedingungen der Knappheit weiterhin Raum in Wirtschaft und Gesellschaft gewinnt! 

Grundlage dafür ist die hier vorgestellte Sichtweise des Ökonomischen als eines rationalen Handelns unter Bedingungen der Knappheit und des Unternehmerischen als eines Handelns unter der Maßgabe des Gewinnstrebens und der Mehrung von Wohlstand unter der Randbedingung von Mindestanforderungen.

Diese ergeben sich aus dem abstrakten Imperativ einer Wertestrategie und eines Zielbildes „systemischer Gewohnheit“ auch konkretere Forderungen, etwa die Forderung nach der Bevorzugung ökologischer und sozialer Handlungskriterien bei sonst gleichem ökonomischem Nutzen.

Daraus folgt unmittelbar die Gestaltungsaufgabe von Staat und Gesellschaft, gerade solche gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die ökonomischen Nutzen dort begrenzt, wo die Schadenswirkungen auf den ökologischen und sozialen Bereich unerwünscht und unerhört im Sinn des moralisch Fragwürdigen werden. 

Gesetze gegen Kinderarbeit, übermäßige Umweltverschmutzung und dergleichen mehr gehören in diesen Gestaltungsbereich hinein.

Schließlich gilt, dass Unternehmen als Akteure der globalen Zivilgesellschaft in ihren Handlungen den Imperativ der Wohlstandsmehrung nicht ohne Rückgriff auf humane Entfaltungsimperative leisten können, so dass sich der Wert der „Menschenwürde“ durchaus als Leitmotiv auch des unternehmerischen Handelns eignet. Ziel ist es dabei, dass die „Menschenwürde“ nicht nur als Ideal aufleuchtet, sondern zunehmend als normativer Bewertungsmaßstab bei immer wieder vorkommenden Verfehlungen entdeckt, angewandt und durchgesetzt wird.. 

LITERATUR

Bielefeldt, Heiner, 1998, Philosophie der Menschenrechte, Darmstadt

Günther, Edeltraud, Ökologieorientiertes Management, Stuttgart 2008

Habermas, Jürgen, 1981, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd.1–2, Frankfurt am Main

Habisch, André / Schmidpeter, René / Neureiter, Martin (Hrsg.), 2008, Handbuch Corporate Citizenship. Corporate Social Responsibility für Manager, Berlin

Hemel, Ulrich, 2007, Wert und Werte. Ethik für Manager. Ein Leitfaden für die Praxis, München

Keane, John, global Civil Society? Cambridge 2003

Knoepffler, Nikolaus, 2009, Angewandte Ethik, Köln

Krebs, Lutz F./Pfändler Stefanie/Pieper Corinna/Gholipour Saghi (Hrsg.), Globale Zivilgesellschaft- national und transnational, Berlin 2004

Leisinger, Klaus, 2007, Der UN Global Compact als internationaler Bezugsrahmen für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, in: Schriftenreihe der Schwäbischen Gesellschaft, Nr. 62–64, S. 63–81

Peukert, Helmut, Wissenschaftstheorie, Handlungstheorie, Fundamentale Theologie, Frankfurt/M. 1978

Porter, Michael E. / Kramer, Mark R., 2011, Die Neuerfindung des Kapitalismus, in: Harvard Business Manager, No. 2/2011, S. 58–75

Suchanek, Andreas, 2001, Ökonomische Ethik, Tübingen

Thies, Christian (Hrsg.), 2009, Der Wert der Menschenwürde, Paderborn

Ulrich, Patrick, 2011, Corporate Governance in mittelständischen Familienunternehmen, Wiesbaden 

Walzer, Michael (Hrsg.), Toward a Global Civil Society, Oxford 1995


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Posted by Ulrich Hemel

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