Abstract [de]: Diese stichpunktartige Zusammenstellungen von Gedanken, Verknüpfungen und Schlagwörtern rund um Wirtschaft, Anthropologie und Wirtschaftsanthropologie soll in das Thema einführen wie auch zur weiterführenden Forschung anregen. Denn die Frage nach dem Menschen und entsprechenden Menschenbilder in der Wirtschaft ist weitgehend neu in den philosophischen und ökonomischen Wissenschaften.

Die Diskussionen der letzten Jahre drehten sich vor allen Dingen um den Homo oeconomicus, seine Beschränkungen und Möglichkeiten. Weitgehend einig ist man sich heute, dass es sich hier um eine unzulängliche Modellvorstellung handelt. Die Wirtschaftsanthropologie fragt nun darauf aufbauend, wie denn der Mensch sinnvoll in die Wirtschaftswissenschaften integriert werden kann.


April 2012

Wirtschaftsanthropologie

Mindmap und Assoziationsraum

Anthropologische Betrachtung des Menschen als Wirtschaftssubjekt, der durchgehend auf der Suche nach Balance zwischen Kooperation und Wettbewerb ist.

  • Kritik-/Diskursoffenheit
  • Übereinbringung menschlicher und wirtschaftlicher Werte
  • Wirtschaft als notwendiger, aber nicht hinreichender Teil eines erfüllten Lebens
  • Betrachtung des Einzelnen vor Betrachtung des Kollektivs (Individual- vs. Gemeinwohl?)
  • Beachtung kultureller Unterschiede
  • Bedarfsorientierung (Bindeglied zwischen Mensch und Wirtschaft): Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft | Bemühung um theoretische Synthesen, um die Schwächen in sich geschlossener Modelle zu überwinden | Wettbewerb und Kooperation als wesentliche Voraussetzung für menschliches Handeln im wirtschaftlichen Kontext
  • Rationalität vs. Emotionalität: Formalismus (neoklassische Grundannahmen) vs. Substantivismus (relative Betrachtung d. eigenen Wirtschaftssystems)

Wirtschaft

  • Egalitäre Tendenz (Massenproduktion ↔ individuelle Interessen)
  • Institutionen vs. Individuen
  • Konsum vs. Produktion
  • nicht auf monetäre Ebene zu reduzieren!
  • Marketing/Marktforschung/Unternehmenskommunikation als Disziplinen mit anthropologischem Moment?
  • Mechanismusmodell, konsequentialistisch
  • Nutzenorientierung: Nutzen = Maß individueller, subjektiv empfundener Bedürfnisbefriedigung
  • Staat ↔ Wirtschaft ↔ Gesellschaft
  • Unternehmen als Teil der globalen Zivilgesellschaft
  • Tauschgeschäfte zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und Bedarfe (Shareholder Value ist nicht primäres Ziel!)
  • Wesentliche Randbedingungen:
Menschenbilder
  • Vernunftbegabung/Rationalität
  • Zukunftsorientierung /Strategie: Beachtung des Kontextes, “fachfremder” Einflüsse (Stakeholder: Gesellschaft, politische Rahmenbedingungen etc.) | Irrtumsgeneigtheit
  • Rein empirische Wissenschaft (Ökonomisierung, Mathematisierung)
  • Unternehmen als eine Organisations- und Handlungseinheit (→ Handlungstheorie anwendbar)
  • Gewinnstreben/-maximierung als vorherrschender Antriebsfaktor
  • Wirtschaften = zweckrationales Handeln unter den Bedingungen der Knappheit:
  • Ziel: Schaffung von Wohlstand (nicht „Mehrung“ von Wohlstand?)
  • Minimalforderung: Unter Einbehaltung von Menschenwürde
  • Werden Forderung und Ziel immer im Blick behalten oder verselbstständigt sich das Handeln im Alltag? Gewinnmaximierung als „ unreflektierte Gewohnheit“?
  • Individueller oder gesellschaftlicher Wohlstand?
  • Entwicklung der Wirtschaft und der Rolle des Menschen als Wirtschafter: Jäger und Sammler | Ackerbau | Viehzucht und Sesshaftigkeit |Industriekapitalismus

→         Konstanten: 

  • Erreichen des Menschen von Zielen durch Interaktion mit Tieren, Menschen, Pflanzen, Dingen
  • Arbeit als Zweck außerhalb seiner selbst (Instrumentelle Tätigkeit)
  • Hierarchische/herrschaftliche Dimensionen

Anthropologie

  • Bezug auf Soziologie, Psychologie, Biologie, Humanwissenschaften, Ethnologie, Religion…
  • Sinnsuche (Warum existiert der Mensch?)

→           nicht wissenschaftlich zu beantwortende Frage (ontologisch, epistemologisch unbestimmt)

  • Selbstreflexion: Wer bin ich? Der Mensch als Subjekt | Was ist der Mensch? Welche Menschenbilder sind feststellbar in Bezug zur Natur, Gesellschaft, Kultur, Technik (und Wirtschaft!)
  • Suche nach einer einheitlichen Idee des Menschen angesichts seiner natur- und kulturgeschichtlichen Veränderlichkeit
  • Was ist angeboren und was erworben? (Naturalismus vs. Kulturalismus)
  • Geschichtlichkeit/Entwicklungsfähigkeit des Menschen (Anthropologische Aussagen sind niemals absolut!)

Rahmenbedingungen menschlichen Lebens im 21. Jhd.

  • “Risikogesellschaft” (U. Beck), Haltlosigkeit, Ohnmachtsgefühl
  • Wunsch nach Zugehörigkeit/Orientierung/Sicherheit
  • Individualisierung, Betonung des Besonderen
  • “Kampf der Kulturen”, Interkulturalität, Toleranz
  • Säkularisierung, Auflösung des Transzendentalen
  • Auflösung von Traditionen
  • Endlichkeit (die Endlichkeit des Menschen zeigt sich in der Positivität des Wissens)
  • Selbstverwirklichung
  • Konkurrenzdruck/Ungleichheit
  • Betonung des Materiellen, Naturwissenschaftlichen, des Rationalen
  • Ökonomisierung
  • Orientierungsstress/-Unsicherheit      
  • Komplexität
  • Globalisierung

Weltdeutung: Was ist der Mensch und was ist seine Rolle in der Welt?

  • Deutendes Vorverständnis vorhanden in allen Lebensbereichen (subjektiv?)
  • Pluralität
  • Hierarchien
  • Weltbilder zur Orientierung
  • Werte und kulturell spezifische Wertelandschaften

Menschenbilder

=   Form der Re-Präsentation eines Typus (der Menschheit), die es uns erlaubt, mehrere Eigenschaften dieses Typus zu erfassen, ohne die jeweiligen Vorkommnisse des Typus selbst (fortdauernd) wahrnehmen zu müssen (Kaplow).

=   mentale Gebilde, mit denen beansprucht wird, das gesa,te Wesen der gesamten Menschheit zu erfassen (Thies).

→    Grundlegene Annahmen für Ethik

(nicht als Fundierung des Wissens, sondern zur Freilegung des Bedingungszusammenhanges)

Welche Menschenbilder gibt es bislang in der Wirtschaft(sphilosophie) und welche Rolle spielen sie?

  • Friedman
  • Ulrich
  • Homann
  • Keynes
  • Marx
  • Rousseau
  • Polanyi
  • Historische anthropologische Rechtfertigung des Kapitalismus durch Hobbes und Mandeville: Unbegrenzte Weiterentwicklung/Wachstum möglich | Unbegrenzte Begierden | Nichtsättigungsannahme
  • Teleologische Erklärung des spontanen Zusammenwirkens am Markt durch A. Smiths “Invisible Hand”

Homo Oeconomicus: 

Methodische Abstraktion des Menschen als rein rationales und (eigen)nutzenorientiertes Wesen; Zweck-Mittel-Rationalität; Interessenverschiebung von der Gemeinschaft zum Individuum als Angelpunkt.

  1. Welche Chancen/Probleme bieten sich für die VWL, die grundlegende Modellvorstellung zu erweitern? Umsetzbar?
  2. Inwiefern wird diese methodische Abstraktion als Menschenbild angesehen? Wie kam es dazu?
  3. Verschiedene Auslegungsformen des Typus: Nützliche Approximation der Wirklichkeit | Als-Ob-Konzeption | Idealtypus (Mill) | Normativ-ethisches Leitbild (Smith)

Andere reduktionistische Menschenbilder

  1. Animal Rationale
  2. Homo Passionis
  3. Homo Faber (Gesellschaftliche Funktion des Produktionsfaktors als wesentliche Grundlage für Wirtschaftsanthropologie?)
  4. Zoon Politikon
  5. Animal Symbolikum

Probleme

  1. Kann man der Wirtschaft als solch zentrales Element unseres Lebens überhaupt ein separates Menschenbild zuordnen? Wäre es nicht besser, sich der “allgemeinen” Anthropologie zu bedienen? Inwiefern lässt sich Anthropologie auf den Bereich der Wirtschaft anwenden? Welche Eigenschaften/Perspektiven rücken in den Vordergrund? (Zweckrationalität,  Menschenwürde, Kooperation?) Müssen diese mehr Beachtung finden? Ist es überhaupt möglich, unser bereits etabliertes Wirtschaftssystem an anthropologische Gegebenheiten anzupassen?
  2. Gefahr des Sein-Sollens-Fehlschluss: Imperativ der Aufklärung:   “Wenn es schon unvermeidbar ist, unter dem Einfluss eines impliziten oder expliziten Menschenbild zu handeln, dann ist es verantwortungsvoll, ein solches Menschenbild zu explizieren – ohne dadurch eine bestimmte Anthropologie vorschreiben zu wollen!” → anthropologische „Rechtfertigung“? 
  3. Lässt sich Menschheit (auch im Bereich der Wirtschaft) auf ein “Bild” reduzieren? (↔ Einzigartigkeit des Individuums)

Voraussetzungen

  • kritisch (erkenntnis-, ideologie-, wirklichkeits- und gegenstandskritisch
  • integrativ-interpretativ (spekulativ vs. empirisch)
  • dialektisch ( Innen- vs. Außenperspektive)

Mindmap / Assoziationsraum

Menschenbilder

LITERATUR

Bohlken, Eike und Thies, Christian (Hrsg.): Handbuch Anthropologie. Stuttgart 2009.

Hartung, Gerald: Philosophische Anthropologie. Ditzingen 2008.

Hemel, Ulrich: Globale Weltwirtschaft und globalisierte Zivilgesellschaft, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 13, 2009, H.2, 178-191

Hemel, Ulrich: Korruption: Gesellschaftliches Suchtverhalten und die Evolution kollektiver Wertekorridore, in: R.Albrecht, N.Knoepffler, K.-M.Kodalle (Hrsg.), Korruption, Moralische Verdorbenheit oder Ergebnis falscher Strukturen, Würzburg 2010, 9-22

Hemel, Ulrich: Menschenwürde und Unternehmertum. Die Konkretisierung von „Global Compact“ durch eine Neufundierung der Wirtschaftsethik. Berlin 2010.

Hemel, Ulrich: Vertrauen – Wettbewerb – Kooperation: Welches ökonomische Menschenbild ist angemessen? Berlin 2009.

Hemel, Ulrich: Was ist und wozu taugt eine Wirtschaftsanthropologie? München 2009.

Hemel, Ulrich: Wertschöpfung durch Wertschätzung, Werteorientierte Unternehmensführung in der Praxis, in: OrganisationsEntwicklung  27, 2008, Nr.4, 30-37

Hemel, Ulrich: Zwischen Gewinnstreben und Moral, Was haben Werte mit der harten Realwirtschaft zu tun? In: BQB 2009, Nr.3, 8-13

Kaplow, Ian: Über Faktizität und Geltung von Menschenbildern. In: Ders. (Hrsg.): Mensch-Bild-Menschenbild: Anthropologie und Ethik in Ost-West-Perspektive. Göttingen 2009.

Koslowski, Peter: Ethik des Kapitalismus. Tübingen 1991.

Moser, Johannes: Einführung in die Wirtschaftsanthropologie (Vorlesung). München SS 2008.

Pircher, Wolfgang: Das „Verschwinden des Menschen“: Postmoderne Anthropologie. In: Weiland, René (Hrsg.): Philosophische Anthropologie der Moderne. Weinheim 1995.

Thies, Christian: Einführung in die philosophische Anthropologie. Darmstadt 2004.

Thies, Christian: Menschenbilder und Ethik. In: Kaplow, Ian (Hrsg.): Mensch-Bild-Menschenbild: Anthropologie und Ethik in Ost-West-Perspektive. Göttingen 2009.

Zum Weiterlesen:

Barth, Fredrik: Economy, agency and ordinary lives. In: Social Anthropology 5(1997)3.

Bloch, Maurice: Marxism and Anthropology. Oxford: Oxford University Press 1984.

Clammer, John (ed.): Beyond the New Economic Anthropology. New York 1987.

Clammer, John (ed.): The New Economic Anthropology. London 1978.

Douglas, Mary and Baron Isherwood: The World of Goods. Towards an Anthropology of Consumption. New York 1979.

Herskovits, Melville J.: Economic Anthropology. A Study in Comparative Economics. New York 1952.

LeClair, Edward E. and Harold K. Schneider (eds): Economic Anthropology. Readings in Theory and Analysis. New York etc. 1968.

Ortiz: Sutti (eds.): Economic Anthropology. Topics and Theories (=Monographs in Economic Anthropology. No.1). Lanham 1983.


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Posted by Sonja Knobbe

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