Abstract [de]: Nach Abschluss der Ausbildung beginnt für viele junge Frauen und Männer die „Rush Hour des Lebens“: Karriere und Familie wollen geplant, ausgebaut und vor allen Dingen unter einen Hut gebracht werden. Wie die hitzige Debatte um Kitas und Betreungsgeld zeigt, tut sich die deutsche Regierung bislang schwer mit Maßnahmen zur Unterstützung dieser jungen Menschen. An dieser Stelle schlägt der Unternehmer und Wissenschaftler Ulrich Hemel das Modell der „Familienteilzeit“ nach dem Vorbild der Altersteilszeit vor.

Familienteilzeit – Ein Lösungsvorschlag für die Rush Hour des Lebens

Mai 2012

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Der Gedanke der „Rush Hour des Lebens“ trifft auf Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 45 Jahren in besonderem Maße zu. Dann ist ihre Ausbildung zum Abschluss gekommen, und es stehen gleich mehrere Lebensaufgaben auf einmal an: Berufseinstieg und beruflicher Aufstieg, Familiengründung und nach Möglichkeit die Realisierung des Kinderwunsches.

Nur: wer Kinder haben will, muss sich um sie kümmern. Er wird trotz Elterngeld in aller Regel erhebliche Einkommenseinbußen erleiden und letztlich in vielen Fällen auf weiteren beruflichen Aufstieg verzichten. Klar- Kinder haben einen Wert, der ganz unabhängig von materiellen Sorgen nicht hoch genug zu schätzen ist. Dennoch ist es für viele junge Paare keineswegs leicht, zu den vielen beruflichen Unsicherheiten der heutigen Zeit bewusst und fröhlich Kinder in die Welt zu setzen.

Statistiken sprechen hier eine klare Sprache: 30% der gebärfähigen Frauen bleiben kinderlos; unter Akademikerinnen sogar rund 40%. Warum? Sind Frauen emotional desinteressierter als früher? Oder gibt es keine familienfähigen Männer mehr?

An dieser Stelle mag jeder seiner persönlichen Lieblingstheorie nachhängen, Fakt ist jedenfalls: Die bisherige Familienpolitik hat keine nachhaltig wirksamen Anreize gesetzt. Dabei wäre angesichts des demographischen Wandels, wie wir die Überalterung der Gesellschaft neuerdings nennen, ein Gefühl für Dringlichkeit angesagt.

Ein Lösungsvorschlag könnte hier die Übertragung des Modells der Altersteilzeit auf eine „Familienteilzeit“ sein. Bei der Altersteilzeit wird ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeschlossen, der über 6 Jahre hinweg eine aktive und eine passive Phase vorsieht. Über den gesamten Zeitraum wird ein abgesenkter Lohn von 75-80% des bisherigen Bruttoverdiensts gezahlt. Drei Jahre wird voll gearbeitet, drei Jahre „räumt“ der Arbeitnehmer bereits seinen Arbeitsplatz.

Dieses Instrument war besonders in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sehr beliebt, weil es einen nahtlosen Übergang zur Rente sicher stellte und die Einstellung junger Menschen begünstigte. Im Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Sozialversicherung und Gesetzgeber wurden hier kreative Instrumente geschaffen, die heute zu Unrecht fast in Vergessenheit geraten sind.

Überträgt man nämlich den Gedanken der Altersteilzeit auf die Phase der Familiengründung im Alter zwischen 30 und 45 Jahren, lassen sich ja durchaus attraktive Analogien finden. Richtig ist natürlich, dass Kinder kommen, wann sie wollen und nicht immer so ganz genau planbar sind. Andererseits lässt sich das Modell ja anpassen.

Für Familien und junge Paare ist das Modell sehr interessant, weil sie in Zeiten der Familiengründung (oder auch der Pflege eines Familienmitglieds) mit einem festen Einkommen rechnen können, das netto gar nicht so weit unter dem bisherigen liegt.

Für Arbeitgeber sind freilich einige Hürden zu überwinden- aber eben keine unüberwindbaren. Denn einerseits sind 3 Jahre Leistung nach Adam Riese „300%“ wert. Wenn jemand für 300% aber 6×75 = 450% zahlen muss, stellen sich offene Fragen. Hier aber ist der Gesetzgeber gefragt – denn die 14 Monate Elternzeit von heute füllen diese Lücke fast punktgenau aus!

Eine zweite Herausforderung stellt die betriebsinterne Arbeitsorganisation dar. Denn es muss jungen Paaren ja möglich sein, den Zeitpunkt für die „inaktive Phase“ der Familienzeit mit einer Voranmeldung von wenigen Wochen oder Monaten selbst zu bestimmen. Was aber macht ein Arbeitgeber, wenn eine junge Frau ein halbes Jahr nach Abschluss einer Vereinbarung zur Familienteilzeit schwanger wird? Er muss zunächst einmal 3 Jahre vorfinanzieren und ist sich nicht sicher, ob die beschäftigte Person dann tatsächlich zurück kommt!

Dem absehbaren Protest von Arbeitgebern lässt sich freilich vorbeugen. Denn für die Familienteilzeit kommen mehrere Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich in Frage. Das aber ruft klar nach einer Versicherungslösung. Ein guter Versicherungsmathematiker wird ohne übergroße Schwierigkeiten eine „Rückkehrausfallversicherung“ für Familienteilzeit berechnen und auf dem Markt anbieten können!

Angesichts der in einigen Branchen schon spürbaren Not, geeignete Bewerber zu finden, stärkt die Übernahme eines solchen Modells der Familienteilzeit die Attraktivität eines Arbeitsgebers. Folglich gibt es auch ökonomisch wirksame Motive, sich als Arbeitgeber für dieses Modell zu interessieren. Denn Umsatz, der aufgrund fehlender Arbeitskräfte nicht realisiert werden kann, hemmt die Entwicklung eines Unternehmens und bringt ganz sicher keinen Gewinn.

Gefragt ist hier letztlich der Zusammenhalt und die Kreativität einer in Lebensentwürfen individualisierten, demokratischen Massengesellschaft. Und so wie sich die Arbeitswelt verändert hat, wird es auch sehr schnell Formen einer kontinuierlichen Kontakt- und Fühlungnahme junger Männer und Frauen im Beruf geben- etwa wenn man sich so organisiert, dass man einen Tag pro Woche ins Arbeitsleben eingebunden bleibt. Schließlich haben sich auch hier die Bedürfnissse junger Männer und Frauen verändert: Sie wollen in vielen Fällen gar nicht mehr ein Lebensmodell von „ganz oder gar nicht“, sondern beide Welten: Beruf und Familie miteinander verknüpft halten.

Vielleicht ist das Modell der Familienteilzeit auch ein Thema dann, wenn die alte Mutter oder der alte Vater Betreuung braucht. Und Familienteilzeit ist nicht das gleiche wie die üblichen Teilzeitmodelle: Sie geht ja von einer vollen Arbeitsstelle aus und strebt diese auch wieder an. Genau diese Flexibilität aber ist Teil heutiger Lebensläufe. Das Modell der Familienteilzeit kommt- anders als eine Kette befristeter Arbeitsverhältnisse oder die Aneinanderreihung von 400-Euro-Jobs- auch der Sozialversicherung und damit dem Gemeinwesen zugute.

Das Modell der Familienteilzeit könnte sich hier als soziale Innovation erweisen, die uns den Weg in eine lebenswerte und familienfreundlichere Zukunft weist. Eine bessere Alternative zum viel diskutierten Betreuungsgeld wäre dies allemal!

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Posted by Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel

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