Abstract [de]: Fast täglich liest man von neuen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer – aber was passiert eigentlich mit den Flüchtlingen, die es einmal bis nach Deutschland geschafft haben? Das Institut für Sozialstrategie hat ein neues Konzept zur Hilfe von Flüchtlingen entwickelt. Asylbewerber in Laichingen bei Ulm spenden ihre Zeit, um in der Gemeinde zu helfen. Im Gegenzug hat die Bürgerstiftung Laichinger Alb den Flüchtlingen einen Deutschkurs organisiert.


Juni 2014

Flüchtlinge in der lokalen Zivilgesellschaft 

Wege der Inklusion

Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht. Die Konfliktherde in Syrien und in Palästina stehen besonders im Vordergrund, doch auch im Südsudan und in anderen Weltgegenden fliehen Menschen aus ihrer Heimat. Für die einen steht die politische Verfolgung, für andere die Suche nach einer besseren wirtschaftlichen Zukunft im Vordergrund.

Deutschland hat in seinem Grundgesetz das Recht auf Asyl festgelegt. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung politischer Verfolgung im Heimatland. Die Herkunft der Asylbewerber spiegelt aktuelle Krisen: Waren vor einiger Zeit Menschen aus dem früheren Jugoslawien, namentlich Bosnier und Serben, stark vertreten, so sind es heute viele Syrer und Palästinenser, die sich hier eine neue und sichere Zukunft erhoffen. Das deutsche Asylgesetz hat allerdings die öffentliche Diskussion nicht nur vorteilhaft geprägt. Einerseits wurde der Blick verengt auf „politische Verfolgung“ und deren Nachweis. Die Suche nach qualifizierten Fachkräften kam da kaum in den Sinn. Andererseits wurde Zuwanderung überwiegend als Geste der Großzügigkeit, als humanitärer Hilfe-Impuls, angesehen. Dadurch kamen die Vorteile junger und leistungsbereiter Zuwanderer kaum in den Blick. Und Flüchtlinge wurden darüber hinaus als „Objekt“ von Hilfehandeln und weniger deutlich als handlungsfähige Subjekte gesehen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen- und können.

Praktisch wirkte sich dies beispielsweise auf Restriktionen in der Freizügigkeit, im Recht auf Arbeitsaufnahme und im Angebote zum Deutsch-Lernen aus. Asylbewerber sind in der Regel räumlich auf den eigenen Landkreis beschränkt. Verlassen sie diesen, etwa weil ein Verwandter oder ein Landsmann andernorts in Deutschland besucht werden soll, begehen Asylbewerber eine Ordnungswidrigkeit, im Wiederholungsfall eine Straftat.

Aufgrund der lange hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland wurden Asylbewerbern außerdem Arbeitsmöglichkeiten weitgehend versagt. Die Sperrfrist für die Aufnahme einer Arbeit wurde unter bestimmten Bedingungen zwar inzwischen von vier Jahren auf 9 Monate abgesenkt. Dennoch setzen die meisten Tätigkeiten gewisse Grundkenntnisse der Landessprache voraus. Diese alleine auf private Initiativen vor Ort zu stützen, ist in einem Land mit vielfach strukturierten gesetzlichen Ordnungen politisch fragwürdig.

Wenn nun Asylbewerber einer Gemeinde zugewiesen werden, bricht selten Jubel aus. Es gibt zwar Ausnahmen. So ist die Stadt Södertälje in Schweden zu einem Zentrum für Assyrer geworden: Heute leben dort 25.000 Assyrer unter insgesamt 75.000 Einwohnern. Solche massiven Herausforderungen gibt es aber auch in Deutschland, etwa wenn Asylbewerberheime in sehr kleinen Gemeinden geschaffen werden. 

Die meisten Asylbewerber sind junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die nicht selten traumatische Erfahrungen im Heimatland und auf der Flucht hinter sich haben. Ihren Alltag verbringen sie in einfachen Zimmern, fernsehend und auf die nächsten Schritte der Behörden wartend. Dies kann zermürbend sein und im Einzelfall sogar „Straftaten aus Langeweile“ nach sich ziehen.

Laichingen, eine schwäbische Kleinstadt mit 11.000 Einwohnern, hat ein kleineres Asylbewerberheim mit der beschriebenen Problemlage. Wie in vielen anderen Orten, gibt es aber auch eine örtliche Bürgerstiftung, die sich für lokale Initiativen im Bereich Bildung, Jugend und Gesundheit einsetzt. Diese Bürgerstiftung finanziert sich u.a. durch Spenden, wobei Geldspenden und „Zeitspenden“ (bei dem jemand Zeit für einen guten Zweck einbringt) unterschieden werden.

Das Institut für Sozialstrategie hat auf diesem Hintergrund ein Konzept entwickelt, das unterschiedliche Akteure zusammenbringt. So haben sich die Asylbewerber dazu bereit erklärt, „Zeitspender“ zu sein. Sie wollen schließlich tätig sein und sich einbringen, dürfen aber nicht arbeiten. Eine Zeitspende ist aber keine Erwerbsarbeit, also auch vor dem gesetzlichen Hintergrund möglich.

Angestoßen durch eine engagierte Flüchtlingshelferin hat die Bürgerstiftung sich dazu bereit erklärt, Angebot und Nachfrage zusammen bringen. So wurde den Asylbewerbern beispielsweise eine Zeitspende im kommunalen Wald, gemeinsam mit dem örtlichen Forstamt, ermöglicht. Um zum Einsatzort zu kommen, wurde in der lokalen Zeitung ein Aufruf für „Fahrradspenden“ veröffentlicht, der auch erfolgreich war. Weiterhin halfen die Asylbewerber bei einem lokalen Fest tatkräftig mit und konnten ihrerseits über den örtlichen Computerclub in die Heimat skypen und die Facebook-Seiten ihrer Angehörigen einsehen.

Die Empfänger der Zeitspende werden dazu ermutigt, ihrerseits der Bürgerstiftung einen bestimmten Geldbetrag zu spenden, beispielsweise 5 Euro pro Stunde Zeitspende. Der Betrag ist völlig freiwillig und darf nicht als „Gegenleistung“ für empfangene Hilfe gesehen werden. Er ist insoweit auch lediglich eine Richtgröße. Wenn jemand gar nicht spendet, ist und bleibt dies seine eigene Angelegenheit.

Weiterhin hat sich lokal eine sozial engagierte Lehrerin im Ruhestand dazu bereit erklärt, den Asylbewerbern Deutschunterricht zu erteilen. Dieser findet an drei oder vier Werktagen in der Woche jeweils für eine Stunde statt. Die Erfahrung zeigt, dass selbst diese „kleine Regelmäßigkeit“ den Asylbewerbern hilft, ihren Tag zu strukturieren statt ziel- und formlos in den Tag hinein zu leben (oder dies tun zu müssen).

Aus Mitteln der Bürgerstiftung soll wiederum der Deutschkurs unterstützt werden. Es bleibt dabei immer noch eine gehörige Portion zivilgesellschaftlichen Engagements, denn die ausgeschütteten Beträge (500 Euro für ein halbes Jahr) entsprächen in keiner Weise einer marktwirtschaftlichen Vergütung. Sie sind aber eben auch als Anerkennung gedacht, nicht als Bezahlung im engeren Sinne.

Für die Bevölkerung ist es hilfreich, Asylbewerber in einer aktiven, gemeinschaftsförderlichen Rolle zu erleben. Solche kleinen Schritte der Inklusion wirken ja auch zurück auf kollektive Einstellungen und- ganz pragmatisch- auf die Integrationsfähigkeit der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt, sobald die Asylanerkennung erreicht ist!

Dieses praktische Pilotprojekt für das Konzept „Asylbewerber als Zeitspender“ lässt sich generalisieren: Denn engagierte Zivilgesellschaften und auch Flüchtlingshelferkreise gibt es an vielen Orten. Und der Zusammenklang zwischen Asylbewerbern als Zeitspendern, Bürgerstiftungen (oder ähnlichen Initiativen) und Deutschkursen ist bei gutem Willen so gut wie überall organisierbar!


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Posted by Ulrich Hemel

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