Abstract [de]

Wird der Markenkern christlicher Krankenhäuser mit dem Stichwort „Qualität“ gekennzeichnet, muss mehr gemeint sein als die allgemein übliche Trias von Struktur-, Ergebnis- und Prozessqualität im medizinischen, pflegerischen und organisatorischen Handeln. Worin aber sollte ein möglicher christlich-spiritueller Mehrwert im Kontext der „Qualität“ von Krankenhäusern bestehen können?

 

September 2014

Markenkern Qualität

 

erschienen in: DEKVthema 09/2014

 

Wird der Markenkern christlicher Krankenhäuser mit dem Stichwort „Qualität“ gekennzeichnet, muss mehr gemeint sein als die allgemein übliche Trias von Struktur-, Ergebnis- und Prozessqualität im medizinischen, pflegerischen und organisatorischen Handeln. Worin aber sollte ein möglicher christlich-spiritueller Mehrwert im Kontext der „Qualität“ von Krankenhäusern bestehen können?

Denn niemand würde einen falschen Gegensatz zwischen professionellen Handlungswerten, die sich in nach innen und außen überprüfbaren Qualitätsindikatoren niederschlagen, und der „Christlichkeit“ als Leitmotiv christlicher Krankenhäuser zulassen wollen. Die Anforderung an das Qualitätsmerkmal des Christlichen darf ja keinesfalls zu Lasten medizinischer und pflegerischer Exzellenz gehen. Vielmehr muss es um eine durchgängige Handlungsdimension gehen, die sich an Indikatoren feststellen lässt und die durch geeignetes Führungshandeln verstärkt werden kann.

Gefordert ist hier also ein eher grundsätzlicher Ansatz, der die Führungskultur, die Lebenswelt und das Alltagsverhalten in den betreffenden Häusern umschreibt. Die Herausforderung ist dabei, im Sinn eines modernen Qualitätsmanagements zu erkennbaren, beschreibbaren und im besten Sinn messbaren Indikatoren zu gelangen, die diesen grundlegenden Ansatz hinreichend spiegeln würden.

 

Christlichkeit und Werteorientierung

In einer nicht allzu fernen Vergangenheit bestand die Christlichkeit eines katholischen oder evangelischen Krankenhauses darin, dass es einen konfessionellen Träger gab und dass eine Hauskapelle verfügbar war. Christlichkeit von Krankenhäusern konnte, so gesehen, als Seelsorgeangebot betrachtet werden. In den 70er Jahren trat dann im Zug zunehmender Professionalisierung eine eigene Krankenhausseelsorge ins Rampenlicht. Diese forderte aber ihrerseits hohe professionelle, menschliche und spirituelle Standards, so dass die „Christlichkeit“ eines Hauses dann als Sache dafür vorgesehener Spezialisten gewertet werden konnte.

In der Zwischenzeit gehen sehr viele Unternehmen den Weg einer grundlegenden Werteorientierung. Auch christliche Krankenhäuser erstellten Leitbilder, formulierten Unternehmenswerte und christliche Profile. In der Praxis ging es ihnen wie anderen Unternehmen auch: 

Ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter solchen Leitbildern und Unternehmenswerten etwas abgewinnen konnten, hing von deren Erfahrung im Alltag ab. War die mit dem hohen Ton der Leitbilder nicht kompatibel, dann blieben diese freundlich bedrucktes Papier.

Die weltweite Bewegung des Qualitätsmanagements hat das scheinbare Paradox der Christlichkeit eines Krankenhauses noch weiter verschärft. Qualität hat mit Transparenz, Sicherheit, Nachverfolgbarkeit, methodisch nachvollziehbarer Überprüfbarkeit und der Übereinstimmung zwischen Soll und Ist, zwischen festgelegten Anforderungen und real beobachtbaren Abläufen zu tun.

Grundsätzlich sinnvolles Qualitätsmanagement endet im Alltag jedoch eine doppelte Grenze. Die erste liegt in der Beteiligung, im Wissensstand, in der „Akzeptanz“ und im Engagement der Mitarbeitenden – denn ohne sie bleibt jedes QM ein Papiertiger. Die zweite Grenze liegt in einer Bürokratisierungsdynamik, die immer kleinteiligere Dokumentationsschritte mit Checklisten und aufwändiger Dokumentation fordert.

 

Interaktion und Kommunikation

Ist schon im „normalen“ Qualitätsmanagement die Akzeptanz und Beteiligung der Mitarbeitenden der Schlüssel zum Erfolg, dann gilt dies erst recht für Aufgaben wie Interaktion und Kommunikation. Dies wird auch im Alltag erfahrbar. Viele christliche Häuser genießen einen guten Ruf, weil sie die Kombination von medizinischer Qualität mit menschlichem Umgang p egen. Ich möchte diese Spur verfolgen, um „Christlichkeit“ im Sinn des Qualitätsdenkens als spezielle Interaktionsqualität zu definieren.

Christliche Orientierung am ganzen Menschen wird sich nämlich dort spiegeln, wo Interaktionen nicht nur funktional und zweckrational sind. Patienten wie Mitarbeitende wollen fühlen, „ich bin hier wichtig“ und „ich werde gesehen“. Mit anderen Worten: Sie wollen in ihrer Personalität wahrgenommen werden.

Über die funktionale Arbeitsteiligkeit auch eines Krankenhauses hinaus bedeutet dies eine strukturierte Interaktionsqualität, die ein Beziehungsgeschehen trotz aller technisch-funktionalen Randbedingungen ermöglicht. Will man diese besondere Interaktionsqualität als Qualitätsmerkmal bezeichnen, müssten wir noch präziser nach Indikationen für das Leitmotiv suchen, „den ganzen Menschen“ zu sehen.

Ein Teil dieser christlich motivierten (aber selbstverständlich auch in städtischen oder privaten Häusern realisierbaren) Interaktionsqualität besteht darin, einfache Formen der Zuwendungskommunikation zu trainieren und durchzuhalten, etwa das Ansprechen der Patienten mit ihrem Namen, die Suche nach einem Blickkontakt, der professionelle und nicht herabsetzende Umgang mit den kleinen Unglücken und Missverständnissen des Alltags und dergleichen mehr.

Ein anderer Teil von Interaktionsqualität ist das Selbstverständnis eines christlichen Krankenhauses als Teil eines übergreifenden Interaktionsfeldes. Auf diesem Feld wirken Hospizgruppen, Besuchsdienste, Büchereidienste, aber auch Gottesdienste und sonstige Formen der Begegnung, auch mit Menschen aus einer nahe gelegenen Kirchengemeinde. Für Patientinnen und Patienten heißt das: „Ich bin nicht allein. Und ich zähle nicht nur als Gegenstand medizinischer Betreuung, sondern auch als Mensch.“

 

Kompetenzentwicklung

Die Qualität von Interaktion hilft auch beim medizinischen Behandlungserfolg. Sie fällt aber nicht vom Himmel, sondern ist Gegenstand von steuerndem Management-Handeln. Dies bedeutet: Eine als „förderlich“ wahrgenommene Interaktionsqualität muss gewollt sein und eingeübt werden. Sie entspricht in spezifisch zugespitzter Weise dem Imperativ der Personal- und Organisationsentwicklung. Denn das Leitmotiv, „den ganzen Menschen“ zu sehen, gilt schließlich auch für Mitarbeiterführung, für die Qualität des Führungshandelns und den Umgang mit den Konflikten und Dilemmata des Alltags.

Qualitätsfähig im engeren Sinn werden solche Forderungen dann, wenn sie auf Handlungen und beobachtbare Indikatoren herunter gebrochen werden. Mir ist in diesem Zusammenhang der Begriff der Kompetenzentwicklung wichtig geworden, einfach weil er eine übergreifende Zielrichtung mit konkreten Handlungsschritten verbindet. Der Trend zur medizinischen Professionalisierung zeigt sich zwar in einer überwiegend funktionalen Betrachtung von krankenhaustypischen Abläufen. Dann treten kommunikative und emotionale Kompetenzen hinter kognitiven, wissensbasierten und pragmatischen, handlungsbasierten Kompetenzen zurück. Qualität als Markenkern benötigt aber ein Gleichgewicht der „harten“ und der „weichen“ Erfolgsfaktoren.

Qualität als Markenkern christlicher Krankenhäuser kann bedeuten, dass das Balanceziel einer zeitgemäßen medizinischen Versorgung und einer spirituell fundierten Qualität von mitmenschlicher Kommunikation sich durchgängig auf der Verhaltensebene auswirkt und die Umgangs-, Interaktions- und Unternehmenskultur prägt.

 

Qualitätswahrnehmung

Ist dies der Fall, wird aus dem Tandem von medizinischer Qualität und Interaktionsqualität auch eine Geschichte der „Qualitätswahrnehmung“. Menschen verarbeiten ihre Wirklichkeit ja oft in Bildern. Patienten und Angehörige nehmen Bilder aus jedem Tag im Krankenhaus mit – und sie sprechen darüber. Wenn Qualität zum Markenkern werden soll, dann ist viel gewonnen, wenn christliche Krankenhäuser Schritt für Schritt lernen, dass es um ein Gesamtbild mit zumindest drei Komponenten geht: objektivierbare medizinische Qualität; Qualität von Kommunikation und die Wahrnehmung von medizinischer und kommunikativer Qualität.

Wer einem terminal erkrankten Patienten sagt, „Sie kommen hier nicht lebend raus“, mag objektiv Recht haben. Wir haben aber zum Glück gelernt, achtsamer mit der Form unserer Interaktion umzugehen. Ein guter Grund dafür ist die Wirksamkeit geeigneter Kommunikation auch für Heilungs- und Genesungsprozesse. Wenn dies so ist, dann gilt es, noch viel stärker als bisher auf günstige Formen der Kommunikation, aber auch auf das Vermeiden von Fehlformen der Kommunikation und Interaktion zu achten.

Denn das Stichwort „Qualitätswahrnehmung“ ist mehr als subjektive Befindlichkeit: Qualitätswahrnehmung entscheidet letztlich über die Reputation eines Hauses bei Patienten, bei Mitarbeitenden, auf dem Arbeitgebermarkt und in der Öffentlichkeit.

Das Stichwort der Kompetenzentwicklung macht das Gemeinte greifbar. Dabei gehe ich davon aus,dass Menschen kognitive, emotionale, kommunikative und pragmatische Kompetenzen haben, die sie im Lauf ihres Lebens ausbilden. Diese Kompetenzen werden in unterschiedlichem Maße für die jeweilige Profession benötigt. Qualität als Markenkern würde dann bedeuten, dass christliche Krankenhäuser sich Gedanken über das Ist- und Soll-Profil ihrer Mitarbeitenden, vom Pflegehelfer bis zum Chefarzt, machen und neben den kognitiv-pragmatischen auch die emotional-kommunikativen Kompetenzen adressieren und gezielt fördern.

Genau dann wird die Forderung, „den ganzen Menschen“ zu sehen, mehr als ein Schlagwort. Sie bestimmt dann nicht nur das Selbstbild, sondern auch das Fremdbild christlicher Krankenhäuser. Das aber wäre die ideale Zukunftssicherung, denn sie fördert die Glaubwürdigkeit, die Reputation und letztlich auch den Zulauf von christlichen Krankenhäusern in unserer pluralistischen Gesellschaft!

Posted by Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel

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