Abstract [de]: Medial kann immer wieder darüber gestolpert werden, dass sich klassische Trennungen, beispielsweise von Berufsgruppen, aber auch Organisationsformen auflösen; keine klare Fixierung ist mehr möglich. Politisch wird dabei durchaus ambivalent argumentiert und vorgegangen.


Oktober 2014

Wohnraum in der Ferne

Neue zivilgesellschaftliche Aktivitätsformen und staatliche Reaktionen

Medial kann immer wieder darüber gestolpert werden, dass sich klassische Trennungen, beispielsweise von Berufsgruppen, aber auch Organisationsformen auflösen; keine klare Fixierung ist mehr möglich. Politisch wird dabei durchaus ambivalent argumentiert und vorgegangen. Einerseits wird ein mehr an Engagement und zivilgesellschaftlicher Organisation und Teilhabe durchaus willkommen geheißen, zugleich aber dabei fast stetig das Risiko betont – ob die Bürger das Ideal mündiger Bürger erfüllen, gilt immer wieder als zweifelhaft. Diese Dynamiken der Diskurse gibt es in einigen Ländern traditionell stärkerer staatlicher Regulationen deutlicher, in anderen weniger. Eine andere Tendenz ist, dass klassische Schranken in diesem Rahmen fallen. Besonders regulierte und geschützte Bereiche werden immer unklarer zu fassen. Gerade im Bereich der Presse verschwimmen die Ebenen zunehmend. Wer nun als Presseakteur_in zu bewerten ist, ist in vielen Situationen kaum klar zu fassen. Besondere Rechte und besonderen Schutz, welche diese Akteur_innen genießen, werden so zu einem umstrittenen Gut. Dies gilt insbesondere bezüglich digitaler Medien und in einem globalen Rahmen. Ob Handyaufnahmen Presseerzeugnisse sind oder aber völlig eigenständige Akteur_innen in Gefahrengebieten die selben Rechte oder den selben Schutz genießen sollten, ist umstritten und unklar. Diese Tendenzen, ein Mehr an zivilgesellschaftlicher und zunächst kaum regulierter Aktivität und Organisation und das Diffundieren zuvor eher klar getrennter Bereiche, können durchaus als gesellschaftliche Tendenzen unser Zeit verstanden werden. Deutlich zu sehen ist dies auf der Ebene globaler zivilgesellschaftlicher Vernetzung.

Diese Tendenzen sollen hier an einem Beispiel erläutert und aufgezeigt werden, welches deutlich die globale Verwobenheit aufzeigt – der Frage nach dem Suchen von Wohnraum in der Ferne. Immer mehr Menschen bewegen sich global. Und neben der Tendenz des Lebens im Hotel wird dafür auch eine suche nach Wohnraum aus der Ferne immer deutlicher ein zentraler Aspekt. Was vor einigen Jahren noch eine große logistische Herausforderung war, wird nun zunehmen leichter und erleichtert – gerade dank des Internets. Und klar ist dabei festzuhalten, dass sich in diesem Rahmen Wohnungsmärkte und Angebote von Wohnraum verändern. Dies bedeutet kein Verdrängen klassischer Angebote, aber doch einen weiteren Zugriff auf eine begrenzte Ressource – insbesondere urbanen Wohnraum. Dabei geht es in diesem Rahmen um ein sehr begrenztes Gut. Wie Luxusimmobilien und -wohnungen einen globalen Markt haben, hat dies auch zentral oder günstig gelegener Wohnraum, insbesondere wenn er noch einen ausgemachten Charme hat, architektonische Geschichte repräsentiert oder einfach nur hip ist. Klar wird global Wohnraum weniger in urbanen Neubaugebieten am Stadtrand gesucht. Vielmehr wetteifern diese Angebote mit alteingesessenen Einwohner_innen, aber auch Ladenbetreiber_innen oder Hostelbetreiber_innen um den selben Raum. Lange wurde in vielen Städten die Regulierung von Wohnraum dabei „dem Markt“ oder eben der Zivilgesellschaft überlassen. Dagegen erhob und erhebt sich jedoch vielerorts zunehmender Protest. Unterschiede in finanziellen Möglichkeiten verändern den Markt. Haben Interessent_innen aus der Ferne mehr Geld, treiben sie die Preise von Wohnraum und erschweren es lokalen Einwohner_innen dort zu verbleiben, gerade wenn es sich nicht um Besitzende handelt. Soweit die Problemlage.

Wohnraum finden mit AirBnB

Der wohl bekannteste globale Versuch, Wohnraum anders zu vermarkten, tatsächlich so auch eine zivilgesellschaftliche Verbindung zu ermöglichen, stellt wohl AirBnB dar. Dabei handelt es sich um eine in San Francisco 2008 gegründete Vermittlungsplattform zum privaten Vermieten von Wohnraum bis zu Häusern oder gar Schlössern, derzeit über 600 laut eigenen Angaben. Angebote gibt es aus mehr als 34.000 Städten in mehr als 190 Ländern. Gerade die Größe macht damit AirBnB fast zu einem Monopolisten, auch wenn es vielerorts auch weitere Vermietungsplattformen für Wohnrum gibt. Insbesondere die finanzielle Abwicklung über die Seite selber, und damit von dieser geschützt und garantiert, gilt dabei als Nutzungsargument. Doch es geht um mehr als um Vermietung von Wohnraum – denn dann wäre schwerlich von neuer zivilgesellschaftlicher Aktivität zu schreiben. Vielmehr wird sich in eine Tradition mit Seiten wie couchsurfing.org gestellt, eine Seite die kostenlose Schlafplätze bei Privatpersonen weltweit vermittelt. Zwar funktioniert AirBnB kostenpflichtig und es sind Standards einzuhalten, aber von der Eigenvermarktung her handelt es sich quasi um eine durch Zahlungen und Verpflichtungen verlässlichere Version von couchsurfing. AirBnB versteht sich als Alternative zum Massentourismus und eine Möglichkeit mit lokaler Bevölkerung besser in Kontakt zu kommen, gerade durch das Angebot von teilweise auch privat genutztem Wohnraum in Wohngebieten. Tatsächliches Wohnen in der Ferne statt eines artifiziellen Hotelaufenthalts ist das Ziel. Teilweise sind auch Zimmer bei Familien oder in WGs zu mieten – es geht also um eine Kontaktermöglichung und Verknüpfung auf einer zivilgesellschaftlichen globalen Ebene. Und doch sind und bleiben die Angebote kommerziell und auch Langzeitmieten von Wohnraum sind möglich.

Seit einiger Zeit ist es jedoch vorbei mit der Begrenztheit der Regulation. Dies hängt mit dem beschriebenen Dilemma zusammen, dem Druck auf begrenzten Wohnraum, oder auch Protesten gegen die Nutzung von Wohnraum lediglich zur touristischen Vermietung. Aber es hängt auch damit zusammen, dass Grenzen nicht ganz klar sind. Jeder darf Bekannte bei sich eine Zeit beherbergen, und die dürfen auch gerne dafür mal kochen oder etwas spendieren, eine kommerzielle Vermietung von Wohnraum ist etwas anderes. Aber wo sind die Grenzen? Bei einer Vermietung über eine Woche? Bei der Überlassung des gesamten Wohnraums und nicht nur Teilen dieses? Oder ist es eine Frage der Zahlungssumme? Darf diese mehr als die eigenen Kosten abdecken? Darf als Vermietung von Wohnraum profitabel sein? Oder widerspricht dies nicht nur der Idee der Freude an einer globalen Vernetzung, sondern auch Recht und Gesetz? Denn dies ist ein weiterer ungeklärter Raum: Sind über AirBnB vermietende Mieter_innen und Vermieter_innen? Und müssen sie dafür Steuern bezahlen? Genau letzter Aspekt brachte den Umfang der Vermietungsaktivitäten von Wohnraum auf diesem Wege erstmals in ein öffentliches Bewusstsein – in New York City wurden 2013 Steuern für Kurzzeitvermietungen nachgefordert. Berlin hingegen entschied sich 2014 dafür, eine Registrierung von so zu Vermieter_innen werdenden einzufordern – Wohnrum darf nicht mehr zum Vermieten zweckentfremdet werden. Und dies sind nur zwei Beispiele für staatliche Gegenmaßnahmen. Vorher staatlich regulierte oder zumindest juristisch klar verfasste Märkte, wie das Vermieten von Wohnraum, lösten sich im Rahmen globaler Vernetzung aus diesem Korsett, ließen dieses ausfransen und neue Fragen der Anwendung aufkommen. Seit einiger Zeit wird dies staatlich einzufangen versucht. Doch darauf wird durchaus auch global reagiert. So zeigt sich, dass es sich, bei aller von einigen kritisierten Kommerzialität, doch auch um eine globale zivilgesellschaftliche Vernetzung handelt. Sowohl gegen die Maßnahmen in New York, als auch gegen andere politische Entscheidungen erhob sich digitaler Widerstand. Informationspolitik wurde dem entgegengebracht. Zu Unterschriften aber auch lokalen Aktivitäten wurde aufgerufen, zu politischen Aktivitäten. Aber gerade auch die lokale Vernetzung von so Vermietenden bei globaler Einbindung wurde als Gegenmaßnahme zunehmend befördert. Mit der Argumentation, es handele sich um eine schützenswerte Errungenschaft so Wohnraum zum Verbleiben in der Ferne zu finden, dies sei moderne globale zivilgesellschaftliche Vernetzung, sollte gegen staatliche Regulierungsversuche lokal und global vorgegangen werden. Und noch ist nicht entschieden, welche weiteren Reaktionen und Gegenreaktionen folgen werden.

Warum nicht freien Wohnraum vermieten?

Klar zeigt sich beim Beispiel AirBnB, dass eine vernetzte globale Zivilgesellschaft nicht nur neue Aktivitätsformen bedeutet, sondern auch alte Definitionsgrenzen hinterfragt. Warum nicht derzeit freien Wohnraum vermieten und die Chance nutzen, neue Menschen aus einem globalen Kontext kennen zu lernen, fragen die einen. Die anderen halten diesem entgegen, dass sich so der Alltag lokaler Einwohner_innen noch deutlicher erschwert durch geringere Mietangebote und steigende Preise. Beide Seiten haben ihre Argumente. Es zeigte sich aber, dass staatliche Regulierungsversuche kaum ein alleinig geeignetes Rezept des darauf Reagierens sind. Alle Regulierungsversuche riefen zugleich deutliche Gegenreaktionen hervor – klar auf einer globalen vernetzten zivilgesellschaftlichen Ebene, so wie die auf staatliche Regulierung folgende Welle konzentrierter Kommentare und Meinungsäußerungen, insbesondere auch über soziale Netzwerke wie Facebook. Festzuhalten ist bereits jetzt, dass Konzepte wie „wohnen“ oder auch „mieten“ in ihrer engen Konzeption kaum zu halten sind. Und auch eine Seite wie AirBnB als Schuldige herauszunehmen, zeigt wenig Gespür für den bereits sich vollziehenden Wandel, andere Seiten folgen und sind bereits aktiv. Die klaren lokalen und global eingebundenen Aktivitäten stehen für zivilgesellschaftliches Gegenengagement gegen Versuche neuer staatlicher Regulierung. Und auch wenn der Ausgang in diesem konkreten Fall noch nicht eindeutig ist, so muss doch die Folge und folgende Tendenz die des Dialogs mit den jeweils entsprechenden zivilgesellschaftlichen Akteur_innen sein und eine Öffnung sowie Variabilität von Konzepten. Dies bedarf einer globalen Kommunikation auch auf politischer Ebene dazu, denn alte Konzeptgrenzen und Grenzen von der Beteiligung sind bereits gefallen, nur mit unterschiedlicher Deutlichkeit. Vielmehr geht es nun darum im Dialog gemeinsam Wege zu suchen, alle Beteiligten einzubeziehen und für alle eine akzeptable Lösung zu finden, statt der Illusion eines Zurück ohne globale zivilgesellschaftliche Vernetzung auch im Bereich des Wohnens anzuhängen. Staatliche Regulierung scheint den Tendenzen immer deutlicher hinterher zu laufen, staatliche Regulierung sich in Gegnerschaft nicht mehr durchsetzen zu können. Ob offenere Dialoge der Weg sind staatliche Rahmen dennoch zu garantieren oder andere gesellschaftliche Mitwirkungskonzepte wäre dringend zu erforschen um den Weg nachträglicher regulierender Verbote zu verlassen.


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Posted by Mario Faust-Scalisi

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