Abstract [de]: Dieser Beitrag beruht auf Beobachtungen die vom Autoren am Ort der Weltklimakonferenz in Lima gemacht werden und doch auch für Tendenzen zivilgesellschaftlicher Vernetzung stellvertretend stehen. Dabei handelt es sich um Eindrücke, keineswegs Gesetzmäßigkeiten.


Dezember 2014

Raumschiff Weltklimakonferenz Lima

Globale Vernetzung oder Verhandlungen ohne lokale Anbindung?

Dieser Beitrag beruht auf Beobachtungen die vom Autoren am Ort der Weltklimakonferenz in Lima gemacht werden und doch auch für Tendenzen zivilgesellschaftlicher Vernetzung stellvertretend stehen. Dabei handelt es sich um Eindrücke, keineswegs Gesetzmäßigkeiten. 

Seit Montag dem 01. Dezember tagt die Weltklimakonferenz in Lima. Vertreter_innen von mehr als 190 Ländern kommen hier zusammen um neue Schritte im Kampf gegen globale Erwärmung oder auf der Suche neuer Energiepolitiken zu diskutieren und zu beschließen. Doch hier treten nicht nur Regierungen und staatliche Vertreter_innen auf. Große UN-Konferenzen sind seit Dekaden, und seit den 1990er Jahren zunehmend, auch Orte zivilgesellschaftlicher Kontakte, globaler Vernetzung, aber auch von Gesprächen zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen. Dies findet auf einer globalen Ebene statt, führt aber auch zu neuen nationalen und transnationalen Austauschen. Und dies ist in Lima nicht anders. 

Dies führt zu sehr komplexen und durchaus dynamischen Austauschoptionen, gerade für lokale zivilgesellschaftliche Akteur_innen. Und dies ist auch die erste Beobachtung vor Ort:

Lokale NGOs, die sich vor Ort mit der auch auf der Konferenz behandelten Thematik befassen, und dies sind vor allem solche, die sich „Nachhaltigkeit“ auf die Fahne schreiben, haben durch eine Konferenz „vor Ort“ große Potentiale. Vor Ort kann dabei verschiedenes heißen: Es kann der Ort sein, an dem die jeweiligen Akteur_innen aktiv sind, dort können sie ihre Zentrale, aber nicht notwendigerweise ihren Einsatzfokus haben. Oder es ist nur eine Filiale. So hat die lokale Dependance von Amnesty International durch eine solche internationale Konferenz vor Ort mehr Kontakte in der Zeit der Konferenz, aber auch eine peruanische NGO, die sich in Lima oder auch in den Anden für Nachhaltigkeit oder gegen Klimawandel einsetzt. Dieses Mehr an Kontakten ist aber keineswegs ein Automatismus, keineswegs etwas Selbstverständliches. Eine NGO, die vor einer solchen Konferenz nicht gut vernetzt ist, wird sich auch auf einer solchen Konferenz schwer tun. Dies bedeutet zugleich, dass viele Treffen und Austausche auch keine neuen Kontakte repräsentieren müssen. Lokale NGOs treffen sich mit Partnerorganisationen, Dependancen mit Zentralrepräsentant_innen oder auch lokale NGOs mit geldgebenden Akteur_innen oder Organisationen. Eine internationale Konferenz vor Ort ist somit eine Art extrem verdichtete lokalisierte Austauschplattform, ein Fokalpunkt, nicht nur internationaler Aufmerksamkeit, sondern auch lokaler Anbindung. Peruanische zivilgesellschaftliche Akteur_innen, die sich in diesem Feld engagieren, müssen dabei letztlich diese Option ergreifen, um Kontakte und Netzwerke zu erhalten und bestenfalls auszubauen und zu festigen. Diese Konferenz nicht wahrzunehmen, erschwert spätere Verknüpfungen und Anfragen eher, hätte doch ein persönlicher Kontakt aufgenommen werden können. Doch diese Möglichkeit persönlicher Kontakte hat ihre klaren Grenzen. Die Zeit aller Akteur_innen ist begrenzt, begehrte Vernetzungspartner_innen, seien sie finanziell potent, zentral vernetzt oder einflussreich, können die wenigsten erreichen. Andere mögen weniger begehrte Partner_innen sein. Bloß in Erscheinung zu treten, um dem Konzept des Sehens und Gesehen-werdens zu folgen, ist auch eine Taktik, die nicht aufgehen muss. Dennoch, es ist eine Gelegenheit und eine Verpflichtung zugleich. Kooperations- und Vernetzungspartner_innen kommen von weit her und können durchaus der Erwartung folgen, lokale zivilgesellschaftliche Akteur_innen hätten diese Gelegenheit zu ergreifen, sich die Zeit dafür zu nehmen. Sie bieten quasi lokal ihre Erreichbarkeit und Zugänglichkeit an – wie kann da widerstanden, sich nicht darum bemüht werden? Doch es gibt immer Gründe, andere Prioritäten zu sehen oder zu haben. Eine lokale NGO kann gerade jetzt eine entscheidende Projektphase anderswo haben; und dennoch gar nicht zu erscheinen, das ist schwierig zu erklären. Der Termin ist ja lange bekannt gewesen. So liegt de facto ein gewisser Teil der Arbeit außerhalb des Vernetzens derzeit brach. Viele lokale NGOs sind schwierig bis gar nicht zu erreichen, haben ihre Arbeit ganz auf die Konferenz ausgerichtet. Dies kann sich langfristig auszahlen, aber kurzfristig ist dies eine klare Beschränkung. Vernetzte lokale zivilgesellschaftliche Akteur_innen befinden sich quasi in einer anderen Welt – der Welt der internationalen Konferenz, einer Art exterritorialer Zusammenkunft mit Sogwirkung, in einer Art verdichteter globaler Zivilgesellschaft. Neben diesem Sog ist etwas weiteres zu beachten – es ist keine Veranstaltung freien Eintritts. Nicht jede_r zivilgesellschaftliche Akteur_in, die sich dazu berufen fühlt, kann dort seine oder ihre Vernetzung ausbauen oder pflegen, nicht jede_r eine Meinung kundtun. Wie bereits erwähnt, bedarf es vorheriger Vernetzung, um überhaupt Gesprächspartner_innen zu finden. Aber es bedarf auch einer gewisser Organisiertheit und einer Möglichkeit, sich Zeit zu nehmen, um Einlass zu erhalten. Ohne Akkreditierung kein Zugang, ohne Kontakte, Organisiertheit und ähnliches keine Akkreditierung – es ist eine Austausch- und Diskussionsoption, die zwar in Lima stattfindet, aber nicht Lima oder Peru vorbehaltlos einlädt teilzuhaben. Und dies ist zugleich die zweite Beobachtung:

Internationale Konferenzen finden global an unterschiedlichen Orten statt, doch ihre lokale Ein- und Anbindung ist sehr unterschiedlich, im Extremfall kaum vorhanden. Es kann Rahmenprogramme geben, die viele wahrnehmen, aber dies muss nicht der Fall sein. Es ist derzeit sehr gut möglich, sich durch und in Lima zu bewegen ohne überhaupt mitzubekommen, dass hier eine große Konferenz zur Klimathematik stattfindet. Mit Interesse am Thema oder Kontakten zu vernetzten Akteur_innen ist dies anders, aber dann gäbe es auch ein Bewusstsein, wenn die Konferenz woanders und weit entfernt stattfände. Hier gibt es weder Plakate, die Hinweise liefern, eine Aufklärungskampagne, Flyer oder sonstige Informationssendungen. Die Zeitungen am Montag berichteten von vielem, von der Konferenz keineswegs primär oder stets auf der Titelseite. Es ist möglich, Aufkleber in bestimmten Supermarktketten zu den Themen Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit und Biodiversität in Peru zu sammeln, ein international gefördertes Programm – aber selbst hier findet nur eine bedingte Anbindung an die Konferenz und ihre Bedeutung statt. Am Ende des Stickeralbums gibt es einen Hinweis auf die Konferenz und den einzigen öffentlichen Ort zur Thematik, aber keineswegs im Grußwort des hiesigen Umweltministeriums. Und bei dem dabei erwähnten Ort handelt es tatsächlich um den einzigen, den Interessierte lokal nutzen können, um eine gewisse Teilhabe zu erreichen. Dies (der Jockey Club del Perú) ist zugleich der zentrale Ort zivilgesellschaftlichen Austausches mit internationalen Vertreter_innen und lokalen Akteur_innen, gerade wenn es keine Akkreditierung gibt. Es ist durchaus selbstkritisch vom Autor zu erwähnen, dass vielleicht die Erwartungshaltung den Blick zu deutlich verzerrt, aber die Wahrnehmung ist eine deutlich begrenzte Abdeckung des Themas in der Presse oder anderen öffentlichen Foren. Keine Plakatkampagne, keine verbreiteten Infostände, keine deutliche Print- oder Radioabdeckung. Die Konferenz findet in Lima statt und fühlt sich doch zugleich sehr weit entfernt an. Es ist nicht unmöglich sich zu informieren, zu demonstrieren oder Gespräche zum Thema zu suchen, aber die Einwirkungs-, Teilhabe- und Informierungsmöglichkeiten sind maximal kaum größer, als wenn jemand nicht vor Ort ist. Tatsächlich ist eine solche Konferenz ein wenig wie ein gelandetes Raumschiff internationaler vernetzter Akteur_innen mit begrenztem Zugang. Das Leben hier geht weiter, zu allergrößten Teilen aber auch daran vorbei – und dies obwohl es lokal und national genug Herausforderungen und Probleme im Bereich Klima und Klimawandel gibt. Es gibt die Kontakte zu wenigen lokalen Akteur_innen, begrenzte Veranstaltungen, aber kein größeres Rahmenprogramm. Die Chance, die Thematik lokal besonders zu betonen, wird nicht ergriffen. Und die Möglichkeiten interessierter und engagierter lokaler oder vor Ort weilender internationaler zivilgesellschaftlicher Akteur_innen sind dadurch klar begrenzt.

Unabhängig davon, welches Ergebnis diese Konferenz nun zur Folge haben wird, eines ist sie bisher nicht, eine genutzte Chance, in Peru große Veränderungen zivilgesellschaftlich zu implementieren und zu verbreiten. Dies liegt unter anderem auch an der Einbindung zentraler thematisch zugehöriger peruanischer zivilgesellschaftlicher Akteur_innen, die auf und im Rahmen der  Konferenz gebunden sind und so die sich in diesem Kontext und Zeitfenster ergebenden Chancen der Bewusstseinsschärfung und lokalen zivilgesellschaftlichen Verbreitung gar nicht nutzen können. Chancen und Verpflichtungen durch die Konferenz reduzieren die Handlungsräume lokal. Aber auch von anderer Seite könnte dieses Zeitfenster genutzt werden, durch ein entsprechendes Regierungsprogramm oder eine breit aufgestellte international agierende NGO – beides findet maximal sehr begrenzt statt. Eine solche Konferenz kann neben internationalen Beschlüssen zur Thematik lokal deutlich viel verändern und zugleich neue globale zivilgesellschaftliche Verbindungen zur Folge haben – mit den bisher sich zeigenden Bemühungen wird dies zumindest nicht gefördert. Insbesondere bei der hier international behandelten Thematik kommt es auf zivilgesellschaftliche Aktivitäten, Umsetzungen und Vernetzungen an. Klimawandel bedarf Verhaltensänderungen aller, im Ressourcenverbrauch, im Konsumverhalten und weiterem. Dies ist kein Automatismus internationaler Beschlüsse, sondern bedarf Programmen und Engagement. Eine Konferenz großer internationaler Bedeutung, wie sie die Weltklimakonferenz ist, ist ein Möglichkeitsraum, durch erhöhte Aufmerksamkeit für diese Thematik. Dies lädt ein zu Presseberichten dazu oder anderen Kampagnen, global, aber gerade auch am Austragungsort. Dies ist in einem gewissen Maße Verpflichtung im Rahmen der Austragung, und wird auch vertraglich so festgehalten. Darüber jedoch hinauszugehen bedarf Wille und Organisation, staatlich wie zivilgesellschaftlich. Kontaktpflege nur als auch zentral zu verorten, neben gerade im Rahmen der Konferenz intensivierte Arbeit vor Ort, wäre dabei eine Maßnahme – aber auch ein Rahmenprogramm und klare Mitwirkungsmöglichkeiten, seien es Informationsveranstaltungen oder auch Befragungen, wären Nutzungsmöglichkeiten eines begrenzten Möglichkeitsraumes. Dies kann noch geschehen, auch hier in Lima, ist aber spätestens für jegliche folgende internationale Konferenz zu hoffen. Und es ist nicht nur staatliche Verpflichtung darauf zu dringen, sondern auch notwendiger Topos globalen zivilgesellschaftlichen Engagements und Verknüpfung. Nur so werden Änderungen nicht nur politischer Beschluss, sondern auch verbreitetes und globales wie lokales zivilgesellschaftliches Anliegen.


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Posted by Mario Faust-Scalisi

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