Abstract [en]: Since the beginning of the Bolivarian Revolution in Venezuela the government has being trying to empower the communal and lowest political level. This process is insignificantly related to decentralization. After the Fourth Republic, Chávez´ administration implemented a clientelistic and discriminatory policy highly connected with the communes. This development was acompaigned by a high polarisation inside the Venezuelan society. 

The origins will be portrayed in a procedural way: how laws were passed, how institutions changed and were changed and how participatory initiatives taking place in the basis of the political system were used as presidential instruments. The ideological influence of the central government on the communal level caused dramatic obstacles for an open, democratic and inclusive dialog. 

Abstract [de]: Seit Anfang der Bolivarianischen Revolution in Venezuela versuchte die Regierung, die kommunale und unterste politische Ebene zu stärken. Dieser Prozess hat aber wenig mit Dezentralisierung zu tun. Nach der Vierten Republik ab 1998 setzte die Regierung Chávez´ eine klientelistische und politisch diskriminierende Politik in Verbindung mit Kommunen um. Diese Entwicklung war begleitet von hohe Polarisierung in der venezolanischen Gesellschaft. 

Die Ursachen werden in einer prozedurale Art und Weise porträtiert, wie Gesetze geändert worden sind, wie Institutionen (sich) verwandelt haben lassen und wie partizipatorische, in der Basis stattfindende Initiativen letztendlich als präsidentielle Instrumente verwendet worden sind. Die ideologische Beeinflussung der Zentralregierung auf kommunaler Ebene verursachte dramatische Hindernisse für einen offenen, demokratischen und inklusiven Dialog.


Februar 2016

Venezolanische Kommunalpolitik im polarisierten Kontext

Warum Kommunen nicht mehr diskutieren

1.   Einführung und Kontext

Seit den 1980er Jahren entwickelten sich mehrere demokratische Prozesse im lateinamerikanischen Raum auf verschiedene Ebenen. In den Anden fand Ende der 1980er eine dezentralisierende Reform in Venezuela statt, in Kolumbien 1991 eine verfassungsgebende Versammlung, die eine neue politische Struktur und eine Pluralisierung des Kongresses herbeigeführte, und Ecuador erlebt seit der Amtsübernahme durch Rafael Correa eine trotz stark von dem Präsidenten abhängige und von einigen autoritären Elementen begleitete lokalorientierte Bürgerpolitik. Darüber hinaus sind im ganzen Subkontinent eine dezentralisierende Tendenz und eine auf subnationalen Ebenen stattfindende Macht- und Kompetenzenverteilung zu erkennen. Der Regional Authority Index von Hooghe et al. (2016) beweist quantitativ, dass dieser Trend seit den 1980er Jahren tatsächlich erfolgt ist (s. auch Daughters/Harper 2007).

Chile, Kolumbien und Ecuador sind in der Fallbetrachtung der multi-level-Analysis in Lateinamerika optimale Fälle für eine Vergleichs-Untersuchung, da diese seit Anfang der 1990er eine starke Varianz in den Dezentralisierungsvariablen hervorheben. Trotzdem signalisiert das Jahr 1998 eine markante, wenn nicht die markanteste Änderung seit der Etablierung der Demokratie 1958 in Venezuela: Die Amtsübernahme durch Hugo Chávez’. Noch heute behaupten Regierungsvertreter, dass das venezolanische politische System das Beste ist, was Radikaldemokratie und Inklusion betrifft (teleSUR 2015). Nach der Erklärung von Chávez 2005, eine sozialistische Bolivarianische Revolution durchzuführen, wurde er ein Jahr später wiedergewählt; Die Etablierung des Projektes Poder Popular begann 2008. Das Poder Popular zielt ab, die Lokalpolitik auf Basis der Bürger und Bürgerinnen zu verstärken, um den Abstand zwischen betroffenen Bürgern und Bürgerinnen und der Politikumsetzung zu verringern. 

Allerdings demonstriert das venezolanische Beispiel viele Problematiken, die im Folgenden differenziert dargestellt werden. Erstens nutzt die regierende Partei die Kommunalpolitik als politisches Instrument für den Machterhalt und die –erweiterung. Zweitens schafft die kommunale Ebene es nicht, eine politisch rationale Diskussion im polarisierten Kontext durchzuführen, welches wiederrum von der Instrumentalisierung seitens des Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) beeinflusst wird. Schließlich werden eine Abstraktion der Polarisierung und der Ideologiedifferenz als Problemursachen porträtiert.

2.   Die Lokalpolitik vor 1998 und das Poder Popular heute

Zwischen 1958 und 1993 herrschte in der Vierten Republik eine Zwei-Parteien-Dominanz von Acción Democrática und COPEI (Christdemokraten). Dies führte dazu, dass Machtverteilung zu den unteren politischen Ebenen außer von der Gouverneur-Reform von 1989[1] nicht stattgefunden hat. Mit der Wirtschaftskrise von 1983, unter der vor allem die ländliche Bevölkerung mit einem Anstieg der Armut litt, lief eine dazu parallele Entwicklung von Unzufriedenheit und Zweifel an dem damals bestehenden Parteien- und Repräsentantensystem, symbolisiert auch durch eine Verringerung der Wahlbeteiligung (Antillano 2012: 129). 

Vor allem wegen der nationalen Unzufriedenheit begannen die unteren Schichten der 1980er Jahre, vor allem die Bewohner der Barrios, sich in Nachbarschaftsvereinigungen zu organisieren. Sie dienten der kollektiven Bekämpfung von alltäglichen Problemen wie Müllentsorgung oder Wasserversorgung, die von der Regierung vernachlässigt wurden. Während der nächsten Jahrzehnte wuchsen solche Initiativen weiter und vernetzten sich zu Kooperationen zwischen mehreren Barrio-Gebieten (Holm/Bernt 2007: 24-25). Dieser in der Basis politisch motivierte Verlauf ist beeindruckend – besonders mit Blick auf den zeitlichen Kontext und die Rolle dieser Gesellschaftsgruppe.[2] Die Armen wurden als Gesellschaftsgruppe von der Politikgestaltung der Traditionsparteien und der Gesellschaftsdiskussion ausgeschlossen und nicht wahrgenommen (Holm/Bernt 2007: 21-23). 

In der Mittel- und Oberschicht der Großstädte entstanden parallel dazu auch Bürgerbewegungen, die bereits mit dem Ziel der Stärkung der Demokratie schon ab den 1990er in sich selbst gewachsen sind. Die kommunalpolitischen Impulse aus armen Zonen und die Bürgerorganisationen der Opposition vertreten seit dem Putschversuch gegen Hugo Chávez 2002 fundamental unterschiedliche Positionen (García-Guadilla 2008: 131-134). Nach der Dezentralisierungsreform und dem Volksaufstand El Caracazo 1989 erfolgte eine partielle Fragmentierung des Parteiensystems, das unter anderem den Einstieg von dem von Chávez´ mitgegründeten Movimiento Bolivariano Revolucionario 200 (MBR-200 – Bolivarianische Revolutionsbewegung) und deren Sieg 1998 ermöglichte (Lander/López 1999: 9-11). 

Anschließend zur verfassungsgebenden Versammlung und basierend auf dem Art. 182 der Bolivarianischen Konstitution von 2000 wurden die CLPP (Consejos Locales de Planificación Pública, sogenannte Lokale Planungsräte) im Jahr 2002 etabliert, die von Bürgermeistern und Munizipienräten, den Präsidenten der Gemeinderäte und den Vertretern der Nachbarschaftsorganisationen geleitet werden sollten. Dies war der erste konkrete Ausdruck der Gesetzgebung für die Gestaltung einer partizipatorischen Institution (Rangel 2010: 76). Eine der wichtigsten Aufgaben des CLPP war die Aufteilung des Munizipiumhaushalts (García-Guadilla 2008: 133). So sollte der Ansatz der Dezentralisierung aus den 1990er weiter gefördert werden, in dem Bürger und Bürgerinnen als primäre Entscheidungseinheit agieren würden. Nach kurzer Zeit scheiterten die CLPP aufgrund von Klientelismus, interner Korruption sowie dem Einfluss der Bürgermeister und der Zentralregierung, vor allem als sie als elektorale Kampfeinheiten 2004 benutzt worden sind. 

In der ersten Präsidenschaftsperiode von Chávez ergab sich eine Mischung aus mehreren chavista und anti-chavista Organisationen auf kommunaler Ebene, die im Prinzip die Vorgaben der Verfassung und die theoretischen Prinzipien der Fünften Republik unerfüllt ließen. Erstens vertraten sie nicht die direkte Volkssouveränität und förderten stattdessen eine defekte Partizipation, die zweitens durch parteiliche und politische Manipulation und Beeinflussung korrumpiert worden sind. Das Kommunalgesetz von 2006 sollte diese Parallelstrukturen entfernen und ein neues System der Partizipation für die Bürger gestalten.

2005 wurde das Ley Orgánica del Poder Público Municipal (LOPPM – Gesetz für die öffentliche munizipale Macht) verabschiedet. Es ermöglichte die Bildung neuer Munizipien unter neuen Bedingungen. Die Entstehung von kleineren Munizipien führte zu finanzieller Abhängigkeit von Caracas: Obwohl Selbstfinanzierung für solche Gebiete möglich ist, sind die Steuereinnahmen der munizipalen Ebene, die in lateinamerikanischen Ländern wegen schwacher Institutionalisierung gering sind, für deren Haushalte nicht ausreichend (Rangel 2010: 77-78).

Konsequenterweise trat ein Jahr später das Ley Especial de los Consejos Comunales (LECC – Spezielles Gesetz der Kommunalräte) in Kraft, die die CLPP durch CC (Consejos Comunales, sogenannte Kommunalräte) ersetzen sollte. Dies sollte die Unabhängigkeit der CC von den Munizipien verstärken und den CC mehr Entscheidungsspielraum überlassen (Rangel 2010: 79). Das Gesetz schrieb bestimmte technische Regeln vor, wie sich die CC formell bilden und bei dem Ministerium für kommunale Angelegenheiten anerkennen lassen können und auch welche inhaltlichen Bereiche die CC unter deren breiten Aufgabenfeld übernehmen sollen (Art. 28, LECC). Das Gesetz erwähnt zwei möglich Finanzierungsquelle der CC: Den Fondo Intergubernamental para la Descentralización (Fonds für die Dezentralisierung) und das Ley de Asignaciones Económicas Especiales derivadas de Minas e Hidrocarburos (LAEE – Gesetz für die aus den Minen und dem Kohlenwasserstoff stammenden speziellen ökonomischen Zuweisungen) (Art. 15/2, LECC). Beide Finanzquellen werden von der Zentralregierung verwaltet (Rangel 2010: 79). 

3.   Instrumente der Regierung in Caracas

Obwohl das Prinzip der CC den partizipativen Elementen der Verfassung entspricht, ergaben sich praktisch sowohl intern legitime Problematiken als auch politisch instrumentalisierende Tendenzen durch die regierende Partei auf Nationalebene, die auch mit der Beurteilung von Verfassungswidrigkeit in Verbindung steht. Das zentrale Argument lautet, dass der Munizipium nicht mehr die primäre politische Einheit im staatlichen System wäre, sondern diese durch die Kommune ersetzt wird, deren politische Institution das CC ist (Brewer-Carías 2011: 38). Dass die sozialen Kontrolleinheiten der CC in ideologischer, parteipolitischer Vertrauensverbindung mit einem Ministerium der nationalen Exekutiven stehen (Brewer-Carías 2011: 116-117) und die Gründung von Instanzen auf präsidentieller Ebene für die Förderung der Kommunalpolitik stattfindet, steht im Gegensatz zum föderalen und dezentralen Staat, der im Art. 4 der Verfassung von 2000 vorgesehen ist.

Es ist eindeutig, dass subnationale staatliche Organe nicht vollkommen unabhängig von der Zentralregierung funktionieren können: Finanzielle und organisatorische Gründe sind anzuführen. Im Fall der CC ist ihr selbstständiges wirtschaftliches Potential nicht ausreichend, um lokale Projekte wie zum Beispiel im Bereich der Infrastruktur zu finanzieren. Die beiden finanziellen Quellen der Dezentralisierung verteilen 42% ihrer Ressourcen an die Bundesstaaten, 28% an die Munizipien und 30% an den CC (falls außerordentliche Einnahmen in diese Mechanismen fließen, teilt sich die Verteilung von zusätzlichen Mitteln in jeweils 30%, 20% und 50%). Dies deutet auf eine sehr starke Finanzierung der CC im Vergleich zu den anderen föderalen Einheiten hin (Rangel 2010: 82). Der Zentralstaat hat zeitweise sogar die CC subventioniert, in dem ihre kooperativen Unternehmen und EPSdurch die Nationalversammlung von der Steuerzahlung befreit wurden (Stefanoni 2012: 55). Im Prinzip existieren keine Transfers aus den Bundesstaaten oder Munizipien an die Kommunen, weil diese selber nicht über ausreichend Mittel verfügen. Das liegt daran, dass die nationale Exekutive die Erdöleinnahmen direkt verwaltet und diese nach seinem Ermessen verteilt. 

Mit dem Speziellen Gesetz der Kommunalräte von 2006 wurde die Präsidentschaftskommission des Poder Popular gegründet, die mit der Reform von 2009 durch das neue Ministerium für kommunalen Angelegenheiten ersetzt wurde. 2014 wurde von Staatsoberhaupt Nicolás Maduro die Bildung eines Präsidentschaftsrates für die Regierung der Kommunen angekündigt (Bolívar 2014). Ein Tag vor der Zusammensetzung der oppositionellen Nationalversammlung 2016 gründete die Ministerin für das Poder Popular, Isis Ochoa, das Kommunale Parlament (Hoy Venezuela 2016). Diese soll eine Institution werden, die parallel und zusammen mit dem neuen Nationalparlament arbeiten soll und vom diesem gehört werden soll. Prinzipiell versucht die Exekutive eine zweite Instanz zu etablieren, die der Regierung treu bleibt und von dieser kontrolliert werden kann.

Diese Organisationen sind Ausdruck der Bedeutung, die Chávez und Maduro der Verbindung von Präsident und Volk beimessen. Es existierten auch die föderalen Regierungsräte, in denen „von der [zentralen] Regierung eingesetzte Amtsträger über den gewählten Amtsträgern“ standen (Boeckh 2010: 368). So schaffte die Regierung eine Brücke, die direkt zum Volk führte und andere repräsentative Akteure übersprang (2008 wurde die koordinierende Stiftung der CC auf präsidentieller Ebene gegründet, Fundacomunal). Diese durch Dekrete erfolgten Gefüge verstoßen gegen das föderale Prinzip, in dem es um ein bottom-up System und von Bürgern gegründeten Initiativen hinzufügen. 

In anderen Ländern wie Bolivien und Ecuador setzten sich partizipatorische Tendenzen aus sozialen Bewegungen und der Basis durch, die die politische Elite direkt beeinflussten (Ellner 2009). Insofern nahm der venezolanische Fall einen anderen Weg, um eine partizipatorische Demokratie zu initiieren. In Guatemala herrscht eine ähnliche Konstruktion wie in Venezuela, wo sich zwei Institutionen (PROFI und FOSIT) die dezentralisierende Kontrollfunktion aufteilen und vom Präsidenten abhängen. Dazu musst erwähnt werden, dass Venezuela konstitutionell eine Föderation ist und so ein multi-level Machtverhältnis des Präsidenten institutionell sehr fragwürdig erscheint. 

Die Gesetze des Poder Popular schreiben dem Kommunalsystem vor, dass es auf sozialistischen Ideen basieren soll. Diese Haltung ist nicht nur verfassungswidrig, sondern wird von der Regierung und der PSUV auf diskriminierende Weise umgesetzt. Das Ministerium verteilt die Ressourcen mit Betrachtung der Präferenzen und Bedürfnisse nach seinem Urteil (García-Guadilla 2008: 141; Goldfrank 2011: 45). 

Es hat sich eine politische Kooptation zwischen der Regierung und den CC entwickelt, die sich bereits in den letzten Jahren in anderen staatlichen Institutionen ergab.[3] Auf diese Weise verlieren staatliche Gewalten an Legitimation und Glaubwürdigkeit. Die Regierung beschleunigt immer mehr diesen Effekt: Die Ministerien funktionieren heutzutage als Parteiabteilungen, die nur ihre Anhänger repräsentieren und für diese die Politik gestalten. Die Ressourcenverteilung auf die CC erfolgt durch die politischen Beurteilungen der politischen Elite. Die Aufgabe der PSUV ist es, die lokale Ebene mit dem Präsidenten zu verbinden und gelegentlich für elektorale Unterstützung zu sorgen (Aduci 2012: 22; Ellner 2009). Die Praxis des CC mangelt an politischen Pluralismus, unabhängigen Entscheidungsmöglichkeiten und bekundet die vertikale Patronage-Struktur des Staates. Ein anderer Faktor war der bedingungslose Beistand eines Großteils der CC zum Präsidenten Chávez und heute zu Nicolás Maduro (Aduci 2012: 22).

4.   Warum Kommunen nicht mehr diskutieren

In diesem Sinne bewirkt die Regimeideologie eine von oben geführte Politisierung der CC und gleichzeitig eine Entpolitisierung innerhalb der CC (Ellner 2009; Antillano 2012: 132): Daraus entsteht ein patriarchalischer Staat, der von klientelistischen Untereinheiten in seiner Basis unterstützt wird. Somit fühlt sich die oppositionelle Bevölkerungsgruppe auf lokaler Ebene machtlos und demotiviert, da ihre Gestaltungschancen von der Regierungsdominanz reduziert und beschränkt werden. Dadurch sinkt der Input politischer Partizipation seitens eines Gesellschaftsblockes und die Output-Legitimation ist unbefriedigend (Lehner 1977: 200). Zusätzlich tritt ein Nebeneffekt des Effektivitäts-Legitimations-Dilemmas auf (Bogumil/Holtkamp 2013: 191-190): Der geringe plurale Input durch den starken PSUV-Einfluss überlässt einen großen Handlungsspielraum für die chavista CC; das heißt, dass solche CC einfacher und mit einem breiteren Möglichkeitsspektrum Entscheidungen treffen und Projekte umsetzen können. Diese ideologisierten Partizipationsstrukturen schädigen in großem Maße die politische Autonomie der Kommunalpolitik, was unmittelbar die ganze demokratische Staatsform delegitimiert und ein zentralisiertes Konstrukt wachsen lässt, in dem deliberative und partizipative Dialogprozesse an Wert verlieren. 

Das CC-Modell ist nicht eine Form der Dezentralisierungsförderung, sondern die Art und Weise die Macht des Zentrums durch die unterste politische Ebene zu verstärken. Diese Prozedur, die gegen den Föderalismus und die Demokratie verstößt, wird als verfassungswidrig beurteilt. Die schwache Rechtsstaatlichkeit hängt mit dem Rückgang demokratischer Merkmale in der venezolanischen Gesellschaft zusammen.[4] Die politische Elite in Caracas genießt weiterhin die wirtschaftliche Vorteile der Erdölrente und verteilt diese ihren Präferenzen entsprechend, vor allem durch die von der Exekutive verwalteten Fonds.

Aus der Sicht Huntingtons (1968: 78-80) führt der Anstieg von politischer Partizipation zusammen mit der Deinstitutionalisierung zu politischer Instabilität, welche mit dem heutigen rechtsstaatslosen Zustand Venezuelas in Verbindung gebracht werden kann. Auf dieser Basis versucht die Regierung progressiv die subnationalen Ebenen, Munizipien und Bundesstaaten zu eliminieren (Álvarez 2011: 160) und eine monopolistische Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene zusammen mit den CC zu gestalten (Álvarez 2011: 162) und die „Volksorganisation auf die Rolle von Managern und Vermittlern zwischen dem Staat und der Volksbasis“ (Antillano 2012a: 133; Arenas 2010a: 31) zu reduzieren. Einige chavistaAkademiker behaupten, dass die Dezentralisierung direkt mit dem Neoliberalismus verbunden sei, da der Sozialismus ein starkes Zentrum benötigt (Arenas 2010b: 203) und somit so ein institutioneller Wandel berechtigt wäre.

Nach den Ereignissen des Coup d´État 2002 verschärfte sich die politische Szene in Venezuela dauerhaft (Stokes et al. 2013: 282). Der ideologische Abstand zwischen dem sozialistischen Chavismus und der Opposition ist nicht mit den Akteuren in ausgereiften Demokratien zu vergleichen. Die polarisierte Lage erlaubt keine Anerkennung des politischen Gegners und ein Dialog ist obsolet: In Venezuela stehen sich zwei Vorstellungen von Nationsmodellen gegenüber. Heutzutage sieht man dies unmittelbar an der Zusammensetzung der Nationalversammlung aus 2016, die wiederum die schwache Institutionalisierung in Bezug auf ihre sensiblen Verhältnisse zum Verfassungsgericht und zur Exekutive widerspiegelt. In den Städten wuchs der Kontrast zwischen beiden Gruppen am deutlichsten; urbane Gebiete unterteilen sich in regierungstreue Zonen und oppositionelle Bezirke (García-Guadilla 2003: 16; Lissidini 2009: 189).

Vor allem nach Wahlbetrug-Vorwürfen der Opposition, Veröffentlichung der gesammelten Unterschriften für eine Misstrauenswahl 2004 und durch die Enthaltung von oppositionellen Kandidaturen für die Nationalversammlung von 2005  litt das politische System unter einer Legitimierungskrise. Die ideologische Differenz der Opposition und der Regierungstreuen wuchs weiter. Welche Auswirkungen hatte der Polarisierungseffekt auf kommunaler Ebene?

Das LECC von 2006 wurde von einer rein regierungstreuen Nationalversammlung verabschiedet. Deswegen hatte die Opposition am Anfang eine skeptische Haltung über das CC-Modell inne und viele anti-chavista Gruppierungen enthielten sich bei der Partizipation in dem neuen CC (Vargas 2010: 23). Bis heute kritisiert ein radikaler Flügel der Opposition das System des Poder Popular und wirbt für die Abschaffung der CC, da diese die Zentralisierung durch Manipulation und Kooptation wiederbeleben (o.V. 2011). Er bevorzugt stattdessen eine Rückkehr zum alten Gemeindemodell mit den Asociaciones de Vecinos (Nachbarschaftvereinigungen) als Basis und eine Vernetzung zu den Munizipien ähnlich zu dem CLPP Konzept; wichtig sei für ihn, dass die lokalen Entscheidungsinstanzen unabhängig von der Exekutive seien (o.V. 2011).

Die hoch ideologisierten CC, die durch Korruption und Kooptation gekennzeichnet sind sowie der dadurch beschränkte Pluralismus, waren auch Gründe für den Anti-Chavismus, um von diesem Modell Abstand zu nehmen und das partizipatorische Demokratieprojekt der Regierung anzuzweifeln (Pereira/Vásquez 2009: 87f). In die gleiche Richtung wirke die Exklusionspolitik und der diskriminierende Diskurs der Regierung zur Opposition: Bezeichnungen wie OligarchenRechtsfaschisten und Marionetten des Imperiums tragen dazu bei, die Polarisierung und Politisierung der Zivilgesellschaft im Land zu verschärfen. Die Ministerien würden nur im Interesse der Regierungspartei arbeiten und die CC seien nur ein Modell für die Chavistas. Die Opposition fühlte sich von dem partizipativen System der lokalen Ebene weder angesprochen noch motiviert an diesem teilzunehmen. 

Obwohl das partizipatorische Projekt als republikanisches Modell für alle venezolanischen Bürger etabliert wurde, schuf es in sich selbst eine politische Diskriminierung. Die armen Gebiete sind heute noch die mit den meisten akkreditierten CC und diese bekommen die meisten Gelder von der Zentralregierung. 

Trotz allem musste sich die Opposition auf das System verlassen und fing progressiv an, sich im CC-System zu beteiligen, da eine vollkommene automatische Exklusion aus der lokalen Sphäre eine politische Niederlage bedeuten würde[5], die aus der Erfahrung der Nationalversammlungswahl 2005 nicht zu wiederholen ist. Die Klassentrennung der Organisationen zwischen oppositionellen und chavista CC führt zu einstimmigen Bürgerversammlungen, die aus der polarisierten Zivilgesellschaft abzuleiten sind. Politische Diskussionen auf kommunaler Ebene finden kaum statt und ein reales partizipatorisches System scheint nicht erfolgreich zu sein: Es wird regierungskonform oder –nonkonform abgestimmt; kein real politisches Verfahren findet statt. Laut Macpherson (2003: 129) sind partizipatorische Demokratien nur erfolgreich, wenn ein starkes Gemeinschaftsgefühl existiert; eine minimale konsensuelle Basis und die Anerkennung des Anderen müssen vorhanden sein, damit überhaupt ein deliberativer, demokratischer Dialog entsteht. Ansonsten ist ein polarisiertes System, wie das Beispiel Venezuelas zeigt, zum Scheitern verurteilt.

5.   Literaturverzeichnis

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[1] Ab 1989 sind Gouverneure direkt wählbar und nicht vom Präsidenten ernannt.

[2]  Dieses Phänomen könnte mit der Theorie der Dritten Demokratisierungswelle Lateinamerikas zwischen 1980 und 1990 zusammenhängen, in der sich viele Länder aus dem Kontinent von Militärdiktaturen befreien konnten (Welp/Serdült 2009: 242).

[3] Eine Umfrage von Mai 2014 (Stichprobengröße: 1.200) stellte fest, dass 60% der Venezolaner die Autonomie der staatlichen Gewalten und Institutionen anzweifeln (Martínez 2014).

[4] Hierzu ist die negative Entwicklung der venezolanischen Werte des Worlwide Governance Indicator der World Bank (2016) zu bemerken.

[5] Bis 2011 war die gesamte Partizipationsquote der erwachsenen Bevölkerung am Kommunalsystem von 30% eine der höchsten Quoten in der lateinamerikanischen Lokalpolitik (Goldfrank 2011: 47).


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Posted by Daniel Saldivia

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