Abstract [en]

Borders are places of exchanges but of separation, too. In many cases the perspective in media or from far away shows a different picture of the situation at a specific border, than you can experience at the border itself. This will be shown and discussed here looking at the US-Mexico border. Thesis of this paper is the importance of infrastructure, especially public transport, for the specific character of a border. This also defines the activities of civil society across the border respectively the origination of a global civil society, anchored locally in a border region.

Abstract [de]

Grenzen sind Orte des Austausches, aber auch der Abgrenzung. Und oftmals unterscheidet sich dabei die mediale oder Fernperspektive von der Situation vor Ort. Dies wird hier am Beispiel der Grenze zwischen den USA und Mexiko diskutiert und aufgezeigt. Leitende These dieses Papers ist dabei die Bedeutung der Infrastruktur, gerade des Öffentlichen Nahverkehrs, für den Charakter der Grenze, und damit auch für grenzüberschreitende zivilgesellschaftliche Aktivitäten respektive das Entstehen einer lokal in der Grenzregion verankerten globalen Zivilgesellschaft.

 

Februar 2018

Grenzen als Orte der Verbindung – der Einfluss breit zugänglicher Infrastruktur

 

get pdf: Grenzen der Orte als Verbindung

 

Dieser Beitrag beruht auf persönlichen Erfahrungen multipler Grenzübertritte verschiedener Art. Wer reist überquert oftmals Grenzen, aber auch wer Handel treibt oder seine Kommunikation international ausrichtet. Doch hat der persönliche Grenzübertritt andere Konsequenzen sowie Voraussetzungen als jener eines verschickten Paketes oder eines Telefonats mit Personen in einem anderen Land. Dabei soll es hier jedoch nicht um Grenzen gehen, die nicht oder kaum spürbar sind, etwa weil Grenzkontrollen ausbleiben oder kein Pass zum Übertritt notwendig ist. Vielmehr bezieht sich dieser Beitrag auf den Grenzübertritt an Grenzen deutlicher Kontrollen. Verbreitet ist dabei die Erfahrung des Grenzübertritts an Flughäfen, verbunden mit hohen Sicherheitsstandards und verbreitet deutlichen Passkontrollen. Anders sieht dies bei Landgrenzen aus, die durchaus sehr unterschiedlichen Charakters bezüglich ihrer Kontrollen sein können. Auch bei diesen kann der Grenzübertritt sehr unterschiedlich erfolgen. Wer ein eigenes Auto hat, sich eines leiht oder mietet, und dessen Versicherung auch im anderen Land gilt, kann in das andere Land fahren. Doch ist dies keineswegs eine niederschwellige Möglichkeit des Grenzübertritts. Diese Möglichkeit steht keineswegs jeder Person offen und ist gleichfalls an ökonomische Voraussetzungen gebunden. Für breitere Massen sind zwei andere Wege zentral – der Übertritt zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen, Fähren oder auch Zügen. Vielerorts gibt es diese Möglichkeiten nur sehr begrenzt, gerade wenn die Verbindungen über die Grenze nicht unterstützt oder gar gering gehalten werden sollen.

Nach diesen allgemein gehaltenen Vorüberlegungen nun zum spezifischen Fall, mit dem sich dieser Beitrag befasst – der Grenze zwischen den USA und Mexiko, genauer jener zwischen Tijuana und den südlichen Ausläufern von San Diego, verallgemeinert zwischen Kalifornien und Baja California. Wer in den Medien über diese Grenze liest, erfährt viel schrecklich klingendes, Warnungen vor Gefahren oder auch über politische Aufrufe zur Verstärkung des Grenzschutzes. Ein verbreitetes Bild ist der notwendige Schutz der USA vor nicht legal einreisenden Personen und allem, was mit diesen verbunden wird, seien es Waffen, Drogen oder anderes. Dem medialen Bild entgegen steht der massive und tagtägliche Grenzverkehr. Und dies meint nicht nur US-amerikanische Autos, die nach Mexiko übersetzen, sondern gerade auch Fußgänger*innen, die diese Grenzen in solcher Zahl passieren, dass immer wieder längere Wartezeiten notwendig sind (vgl. U.S. Customs and Border Protection 2018). Auch handelt es sich dabei um Bewegungen in beide Richtungen, keineswegs nur in eine. Entgegen aller Erwartungen stehen hinter diesen Wartezeiten auch nicht übermäßig harte und intensive Kontrollen, die zu längeren Wartezeiten führen könnten, sondern vor allem die Anzahl an Menschen, die diese Grenze auch zu Fuß überqueren; diese hohe Anzahl führt dazu, dass es zu Wartezeiten kommen kann. Die eigene Erfahrung, und auch die breit eingeholten Erfahrungen anderer Personen, die die Grenze einmal oder immer wieder passieren, ist, dass es, gerade im Vergleich zu Kontrollen an Flughäfen, sich um geringe Kontrollen handelt, die den Grenzverkehr eher fördern als ihn zu behindern. Dies gilt ganz deutlich, und durchaus Erwartungen entsprechend, für den Weg von den USA nach Mexiko, aber, und dies war und ist eher die Überraschung, auch für den umgekehrten Weg. Mexiko setzt bereits länger darauf den Grenzverkehr zu fördern. So konnte einige Zeit ohne Reisepass eingereist werden auf dem Landweg von den USA aus. Dies ist so nicht mehr möglich, allerdings können nachwievor Fahrzeuge ohne zusätzliche Genehmigung in eine Grenzregierung überführt und Waren zollfrei ein- und ausgeführt werden aus dieser Zone – durchaus zur Förderung der Wirtschaft und des Grenzverkehrs (vgl. Mexico Insurance Professionals 2017). Eine solche Freiheit besteht auf dem Weg von Mexiko in die USA nicht. Allerdings sind auch auf diesem Weg, gerade für Fußgänger*innen, die Kontrolle sehr beschränkt in Umfang und Reichweite, zumindest im Regelfall. Dies kann sich allerdings ändern. Nur längerfristig ändern kann sich hingegen die infrastrukturelle Förderung des Grenzverkehrs. Dabei handelt es sich um langfristige Maßnahmen, die zwar behindert und versperrt werden können, aber einmal erbaut und geschaffen faktisch existieren.

So gibt es von San Diego eine direkte Verbindung mit der Straßenbahn (Trolley) an die Grenze zu Mexiko. Direkt neben dem zentralen Fußgänger*innenüberweg hält diese am San Ysidro Transit Center. In unmittelbarer Nähe gibt es eine weitere neue Fußgänger*innenbrücke, die ebenfalls an den Nahverkehr im Großraum San Diego angebunden ist und zugleich direkt an Einkaufsmöglichkeiten in den USA. Auf der anderen Seite der Grenze halten ebenfalls Busse und Taxis, so dass ein relativ reibungsloser Übergang stattfinden kann. Vom neuen Fußgänger*innenüberweg führt eine Brücke direkt in die Innenstadt Tijuanas. Dazu kommt die Möglichkeit der Grenzüberquerung mittels Fahrrad. Es handelt sich dabei keineswegs um eine neue Anbindung der Grenze, die Trolley-Station gibt es seit über 30 Jahren, allerdings wurde in den letzten Jahren die Anbindung der Grenze massiv ausgebaut. So wurde das San Ysidro Transit Center neugebaut und erweitert und ein zweiter Fußgänger*innenüberweg wurde geschaffen. So sollen die jährlich mehrere Millionen Fußgänger*innen, die die Grenze queren, abgefertigt, aber auch zur Grenze hin- und von dort wegkommen. Dazu kommt eine direkte Fußgänger*innenverbindung zum respektive vom Flughafen Tijuana in die USA. So ist es möglich von den USA direkt in den Flughafen Tijuana zu gelangen respektive von diesem zu Fuß direkt in die USA. Es handelt sich dabei um ein binationales Flughafenterminal, den Cross Border Xpress (vgl. Cross Border Xpress 2018; Mendoza 2016 & Metropolitan Transit System 2018). Während also medial das Bild einer verschlossenen Grenze vorherrscht, einer Grenze, die geschützt werden soll, und über die vor allem der Weg nach Norden immer mehr versperrt wird, handelt es sich in der alltäglichen Erfahrung hingegen um eine sehr geschäftige Grenze, die vielmehr pro Tag eine immer weiter steigende Zahl an Menschen den Übertritt ermöglicht und so zu Verbindungen über die Grenze hinaus führt. Dies meint nicht, dass nicht zur gleichen Zeit illegale Wege zunehmend versperrt und die Kontrollen als solche deutlich sind, aber doch, dass ein massiver legaler Grenzverkehr das realistischere Bild ist, als eine sehr ungleiche Grenzbewegung in eine Richtung mit massiven Behinderungen. Zu bemerken ist, dass erst dies auch deutliche zivilgesellschaftliche Verbindungen über die Grenze hinaus ermöglicht im Sinne des Entstehens einer lokal sich zeigenden globalen Zivilgesellschaft, hier im direkten Kontakt, und nicht nur kommunikativ oder digital verbunden. Für eine solche starke grenzüberschreitende Zivilgesellschaft in dieser Region gibt es viele Beispiele. Mindestens ebenso viele Beispiele gibt es sicherlich für deren Behinderung und Erschwernis durch eine physisch sehr präsente Grenze. Doch verbindet der massive und tägliche Grenzverkehr nicht nur ökonomisch oder touristisch, sondern auch gesellschaftlich, und wirkt so den Behinderungen faktisch entgegen (vgl. Boedeltje 2012). Die These dieses Beitrages ist nun, dass das Entstehen einer globalen Zivilgesellschaft in Vernetzung über Grenzen in Grenzregionen deutlich mit der niederschwelligen infrastrukturellen Erschließung der Grenzregion selbst zu tun hat.

Dies ist keine völlig neue Erkenntnis. Doch steht diesem Weg und dieser Erkenntnis der derzeit dominierende Diskurs über die Sicherung von Grenzen und deren Abschließung gegenüber ungewollten Übertritten entgegen. Dabei ergibt sich eine Gemengelage unterschiedlicher und teilweise gegensätzlicher Interessen. Eine gut angeschlossene Grenze erleichtert beispielsweise den ökonomischen Grenzverkehr und den Handel über die Grenze. Die Schaffung der Grenzregion in Mexiko, die zollfreie Einfuhren und weniger Genehmigungsnotwendigkeiten in diesem Raum bedeutet, erleichtert die Produktion in diesem Raum und den Re-Export geschaffener Produkte in die USA – ein ökonomischer Vorteil, der jedoch auch mit menschlichem Elend verbunden ist, was hier erwähnt, aber nicht weiter diskutiert werden kann. Die Infrastruktur ist in diesem Kontext nur ein prägender Aspekt, aber durchaus ein zentraler. Gerade zur Ermöglichung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, und dazu gehört auch das Treiben von (Klein)Handel, kann es eine fördernde oder behindernde Infrastruktur, neben ebenso beeinflussenden Regeln, Verfahren und weiterem, geben. Zugleich, und dies macht das ganze aus der Sicht vieler zweischneidig, erleichtert eine solche Infrastruktur jedoch auch illegale Aktivitäten wie den Schmuggel von unterschiedlichstem, von Drogen zu Waffen oder Menschen (vgl. Center for the Study of Democracy 2004). Auch wenn solche Sorgen nicht von der Hand zu weisen sind, steht dahinter doch eine zumindest auch politische Entscheidung, was betont wird, die Gefahr von Illegalität oder die ungleich größere Möglichkeit, nicht nur der gesellschaftlichen Verbindungen, sondern auch ökonomischer Verbindungen. Dabei wird lokal immer wieder mindestens auch die Chance einer verbindenden Grenze betont, was deutliche Kontrollen keineswegs ausschließt. Dafür steht der massive Ausbau der niederschwelligen Grenzverbindungen zwischen Kalifornien und Baja California entgegen aller Rhetorik des Betonens einer „notwendig“ besseren Kontrolle.

Studien zeigen in diesem Zusammenhang, dass es jedoch nie nur um Infrastruktur geht, sondern vielmehr weitere Einflussfaktoren eine zentrale Rolle dafür spielen, ob es zu deutlichen Verbindungen über Grenzen hinaus kommt, und so auch der Herausbildung einer lokalen grenzüberschreitenden und weiter global wirkenden Zivilgesellschaft. Dabei werden eine gemeinsame Sprache, persönliche oder familiäre Verbindungen über die Grenze und eine gemeinsame Kultur als verbindungsfördernd ausgemacht, während restriktive legale Vorschriften und mangelhafte infrastrukturelle Erschließung als hauptsächlich verbindungsbehindernd markiert werden (vgl. Cankar, Seljak & Petkovšek 2014). Genau diese verbindungsfördernden Voraussetzungen sind an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gegeben. In San Diego kann alles auf Spanisch erledigt werden, viele haben mindestens Bekannte in Mexiko, und in Tijuana ist fast alles auf Englisch und auch in Dollar ausgezeichnet, fast jeder versteht auch Englisch. Es mangelt also keineswegs an den verbindungsfördernden Faktoren, es ist dort eine Frage der Relation zu den verbindungsbehindernden Faktoren. In diesem Kontext betonen Studien durchaus, dass hohe Sicherheit und eine verbindungsfördernde Infrastruktur möglich sind, beispielsweise durch Programme, die schnellere Abfertigungen bei der vorherigen Preisgabe von Informationen ermöglichen. Dies gilt primär für LKWs, aber auch der Fußgänger*innenverkehr kann entsprechend befördert werden beim Hochhalten von Sicherheitserwartungen (vgl. Institute for Homeland Security Solutions 2010). So können tägliche Grenzübertritte erleichtert werden und am Ende ein niederschwelliger Weg über eine Grenze mittels der Nutzung von öffentlichem Nahverkehr und Fußgänger*innenüberwegen Realität werden.

Tatsächlich zeigt sich diese Richtung der Entwicklung, der Ermöglichung massiver Grenzübertritte, gleichfalls auf niederschwelligem Niveau, auch an anderen Grenzübergängen zwischen den USA und Mexiko. So konnte für Texas gezeigt werden, dass unterschiedliche Faktoren die Rate der Grenzübertritte beeinflussen, etwa der Wechselkurs, aber auch der öffentliche Nahverkehr und dessen Ausbau massive Bedeutung in diesem Kontext haben (vgl. Fullerton & Walke 2012). Nicht nur im Rahmen dieses Instituts wurde die Grenze zwischen den USA und Mexiko immer wieder thematisiert, auch in der weiteren Forschung ist diese immer wieder Thema. Nicht zuletzt wird sich dabei mit der Verbindung unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen befasst, der lokalen Manifestation globaler Zivilgesellschaft. Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit an jenen Übergängen mit täglich hohen Übergangszahlen und der Verbindung zweier bevölkerungsmäßig bedeutsamer und großer Regionen. Die Grenze zwischen Kalifornien und Baja California steht dafür sinnbildlich. Diese ist nicht nur eine der geschäftigsten zwischen Mexiko und den USA, sondern auch in weiten Teilen infrastrukturell so entwickelt, dass die Hürden für niederschwellige Übertritte gering sind. Dies erst ermöglicht tägliches Pendeln, dies erst ermöglicht kurzzeitige Übertritte, und dies erst führt zur Entstehung übergreifender zivilgesellschaftlicher Strukturen und Verbindungen, letztlich der Etablierung globaler Zivilgesellschaft im Lokalen.

Dies untermauert die hier diskutierte These der Bedeutung infrastruktureller Erschließung von Grenzen zur Entstehung von Strukturen globaler Zivilgesellschaft. Doch bedeutet dies noch nicht, dass diese These hier bereits eindeutig belegt oder differenziert worden wäre. Vielmehr gilt es weitere vergleichbare Grenzen zu betrachten, weiter zu differenzieren, wie weit niederschwellige Grenzübergangsmöglichkeiten auch nachgefragt werden. Thesenhaft steht bereits hinter diesen offenen Fragen, dass es auch einer entsprechenden Bevölkerungsallokation an einer Grenze bedarf, damit solche Verbindungen auch existieren können. Der rein subjektive Vergleich beispielsweise zur Grenze zwischen Kanada und den USA bei Vancouver zeigt, dass dort neben Autos und LKWs vor allem der eher hochpreisige Zugverkehr Bedeutung hat, nicht aber der Fußgänger*innenübertritt, der nur eine geringe zahlenmäßige Bedeutung hat. Dort mangelt es am verbreiteten Interesse niederschwelligsten Übertritts, auch weil auf US-Seite keine größeren Siedlungsstrukturen unmittelbar an der Grenze anzutreffen sind. Wie bereits ausgeführt, bedarf es einer tatsächlichen Grenzregion, etwa einer verbreiteten kulturellen, persönlichen oder sprachlichen Verbindung über Grenzen hinaus, wie bei San Diego und Tijuana, um auch eine globale Zivilgesellschaft am Ort durch infrastrukturelle Maßnahmen zu ermöglichen. Dies wurde hier gezeigt. Ein Vergleich zu anderen Grenzregionen mit vergleichbaren Charakteristika würde es schließlich ermöglichen, weiter zu differenzieren, welche Einflussgrößen welche Bedeutung in diesem Kontext haben – neben der Infrastruktur – aber auch, welche Art der Infrastruktur sich als besonders niederschwellig erweist. Doch wäre dies bereits ein weiteres Paper.

Bibliographie:

 

 

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Posted by Dr. Mario Faust-Scalisi

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