Abstract [en]:

Measuring civil society is a challenge, but is done nevertheless over and over again, e.g. to judge the democracy of a country. But for this civil society is always conceptualized as something national. Facing the importance of a global civil society and its transnational character, as shown here frequently, these highly national indices shall be questioned here. Building on this argumentation, this article argues for an opening of indices alike to global structures of civil society.

Abstract [de]:

Zivilgesellschaft zu messen ist eine Herausforderung und wird doch immer wieder versucht, etwa um die Güte der Demokratie eines Landes zu bewerten. Allerdings werden dabei stets nationale Konzeptionen von Zivilgesellschaft zu Grunde gelegt. Angesichts der bereits mehrfach hier nachgezeichneten Bedeutung globaler Zivilgesellschaft und deren transnationalen Charakters, sollen diese stark nationalen Indizes hier hinterfragt werden und für eine Öffnung dieser hin zur Erfassung globaler zivilgesellschaftlicher Strukturen plädiert werden.

 

April 2018

Transnational agierende globale Zivilgesellschaft. Messbarkeit, Indizes und ihre Grenzen

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Zivilgesellschaft ist ein breites Konzept, welches mit der Zeit im wissenschaftlichen Diskurs eher noch erweitert wurde. Dabei stellt globale Zivilgesellschaft gewissermaßen eine Erweiterungsform des Konzeptes dar. Doch auch für diese gelten die generelleInn Grundsätze der Freiwilligkeit der Teilhabe sowie der Notwendigkeit einer Möglichkeit der Teilhabe. Dies weist zugleich bereits auf eine verbreitete Grenze zivilgesellschaftlichen Agierens hin, Repressionen und andere Grenzziehungen führen zu unterschiedlichen Erfassungen zivilgesellschaftlicher Aktivität (vgl. Badescu 2004: S. 323ff.). Dabei ist der Zusammenhang zwischen Demokratie und Zivilgesellschaft nicht konsensual fixiert, doch gilt die verbreitete Einsicht, dass eine Demokratie ohne freie und aktive Zivilgesellschaft mindestens gefährdet ist, wenn nicht zu einer bloßen formalen Hülle verkommt (vgl. Putnam 2000: S. 31ff.). Dies bedeutet zugleich, dass Demokratieförderung zumeist auch eine Förderung der lokalen oder nationalen Zivilgesellschaft umfasst oder gar zentral (mit) darauf basiert. Dies zeigt sich beispielsweise beim Agieren von Akteur*innen wie der EU (vgl. Kostanyan et al. 2017: S. 61ff.). Zugleich zeigen sich dabei immer wieder die größten Hindernisse – ist es doch in nicht wenigen Ländern leichter möglich, formale demokratische Strukturen und Akteur*innen zu fördern denn eine unabhängige und diverse Zivilgesellschaft. Zugleich ist eine massive Außenförderung insofern begrenzt in ihrer Reichweite, dass diese doch Vorwürfe nähren kann, die Zivilgesellschaft sei gewissermaßen eine Fremdakteurin. Dies meint einerseits, dass eine diverse und unabhängige Zivilgesellschaft auch meint, dass diese lokal, regional oder national erwächst (vgl. Segert 2016: S. 20f.). Andererseits ist der staatlichen Förderung nationaler und regionaler Zivilgesellschaften das Konzept einer globalen Zivilgesellschaft entgegen zu setzen, gewissermaßen die zivilgesellschaftliche Förderung von Zivilgesellschaft durch Vernetzung.

Dies führt aber zu Herausforderungen in einem ganz anderen Bereich. Denn es ist ein verbreiteter Weg, die jeweils definierte demokratische Güte oder Entwicklung eines Landes auch über Werte für die Entwicklung und definierte Güte der jeweiligen national umgrenzten Zivilgesellschaft zu messen. Dabei sind nicht nur unscharfe Messungen eine Problematik, die Setzung von Schwellenwerten und nicht-treffende Indizes (vgl. Pickel & Müller 2006: S. 168ff.), sondern auch die Setzung der Korrelation. Denn von der gemessenen Güte einer Zivilgesellschaft auf die jeweilige Demokratisierung zu schließen, ist zumindest nicht unproblematisch. Werden unterschiedliche Indizes zur Demokratie und deren Status in einem Land – nehmen wir hier Mexiko – betrachtet, so ergeben sich die Unterschiede der Werte auch durch unterschiedliche Bewertungen der Bedeutung der nationalen Zivilgesellschaft sowie deren definierter Güte. Ist dies als methodische Herausforderung zu bewerten, verkompliziert sich die Lage durch die Konzeptualisierung einer globalen Zivilgesellschaft sowie deren herausragender Bedeutung. Denn dabei steht nicht nur die Frage im Raum, wie diese und deren Wirkung in einem Land gemessen werden kann – gerade wenn die vor allem lokale Aktualisierung dieser beachtet wird, so an Grenzen und Grenzorten. Sondern es steht auch die Frage der Bewertung deren Bedeutung im Raum, beispielsweise ob eine lokal schwache oder in ihrer Wirkungsweise eingeschränkte Zivilgesellschaft durch starke globale oder transnationale Unterstützung nicht gewissermaßen ausgeglichen werden kann. Genau dies soll hier am Beispiel von Mexiko und den USA sowie drei Indizes diskutiert werden.

Wir beginnen hier mit dem Index der NGO Freedom House, genauer deren „Freedom in the World“-Index. Nach diesem wird Mexiko als „partly free“ bewertet, mit jeweils der Bewertung 3 auf der Skala von 1 bis 7, von höchster zu geringster Freiheit. Dabei wird der Status der Zivilgesellschaft als gefährdet betrachtet, etwa durch Überwachungsmaßnahmen der Regierung oder eine massive Trennung zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft. Zugleich wird von zivilgesellschaftlicher Aktivität berichtet, etwa bei der Kritik an und Bekämpfung von Korruption. Vor allem aber wird die begrenzte Reichweite der Medienfreiheit als hinderlich für zivilgesellschaftliche Aktivitäten bewertet sowie polizeiliche und soldatische Gewalt gegen die Zivilgesellschaft, die zu selten verfolgt werde (vgl. Freedom House 2018a). Wird hingegen die USA bei Freedom House betrachtet, ist die Bewertung deutlich positiver. Die USA werden als „free“ bewertet, gerade die „civil liberties“ werden dabei positiv bewertet, mit dem Wert 1, gegenüber der Freiheit und den politischen Rechten, die da drüber liegen. Dabei wird gerade die Pressefreiheit positiv hervorgehoben. Zugleich gibt es jedoch auch in den USA eine deutliche Tendenz der Überwachung von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Die Wahl Donald Trumps wird von Freedom House tendenziell eher als fördernd für die Zivilgesellschaft und ihre Aktivitäten, so in den Bereichen Gender-Gleichheit, Minderheitenrechte oder auch die Rechte von Migrant*innen bewertet (vgl. Freedom House 2018b). Wird diesem Index gefolgt, ist das Bild gewissermaßen klar: Die Demokratie in den USA ist stark durch eine starke Zivilgesellschaft, jene in Mexiko schwach durch die schwache Zivilgesellschaft.

Wird nun auf einen anderen Index geschaut, verändert sich das Bild zumindest leicht. Civicus, ein globales Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteur*innen auf unterschiedlichen Ebenen, hat einen eigenen Monitor zum Status der Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Ländern. Dabei wird Mexiko als „repressed“ bewertet, die USA als „narrowed“. Nur wenige Länder werden als „open“ bezeichnet, etwa die Länder Skandinaviens. Außerhalb dieser Bewertung setzt Civicus auf eine qualitative Bewertung, keine quantitativ-schematische. Bezüglich der USA wird so festgehalten, dass die grundsätzlichen Freiheitsrechte gewährt wären und es einen starken rechtlichen Schutz gebe. Doch gibt es Grenzen, etwa die Verfolgung von Whistle Blowern, sowie die massive Überwachung der Kommunikation. Festgehalten wird bezüglich der Einschränkung von Freiheitsrechten:

„However, civic space in the USA is not uncontested. In recent years, members of social movements including the Occupy Movement and #BlackLivesMatter have experienced harassment and sometimes violence at the hands of police, while other organisations which promote the rights of marginalised groups have not received the full protection of the state. The right to freedom of assembly is undermined by mass arrests, the use of excessive force and state-level laws that impose prior authorisation requirements for some gatherings. The UN High Commissioner for Human Rights has recently expressed concern about ‘structural racial discrimination’ in the USA, resulting in a lack of guarantees for black people to fully enjoy their human rights. Free expression has also been severely damaged by actions of the National Security Agency (NSA) and other state bodies who have collected vast amounts of data from people’s private electronic communications.“ (Civicus 2018b).

Mexiko wird von Civicus deutlich kritischer hinsichtlich des Status der Zivilgesellschaft bewertet. Auch mit Blick auf Mexiko wird auf die verfassungsrechtliche Gewährung von Freiheitsrechten verwiesen, aber dies sogleich und deutlicher als bezüglich den USA eingeschränkt – in den meisten Regionen sei Mexiko zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegenüber negativ eingestellt. Als Gründe dafür wird auf die Infiltration der Verwaltung und Politik durch organisiertes Verbrechen verwiesen, aber auch auf Korruption und die Verbreitung von Menschenrechtsverletzungen, sowohl durch staatliche wie nicht-staatliche Akteur*innen. Dazu komme eine verbreitete de facto Straffreiheit von Verbrechen in abgelegenen Gebieten sowie Selbstzensur in den Medien und bei zivilgesellschaftlichen Aktivitäten durch Drohungen und Gewalt bis hin zu Morden. So würde auf friedliche Proteste zumeist mit Gewalt reagiert (vgl. Civicus 2018a). Auch bei Civicus entsteht ein klares, aber doch differenziertes Bild. So wird die Zivilgesellschaft sowohl in Mexiko als auch in den USA als bedroht gezeichnet, jedoch die Stärke und Verankerung dieser in den USA als größer beschrieben. Civicus gibt anders als Freedom House Hinweise auf die Verbindung von Zivilgesellschaften und die Möglichkeit einer globalen Zivilgesellschaft durch den Hinweis auf die von der Zivilgesellschaft in den USA behandelte Themen wie Migration und breite Vernetzungstendenzen. Aber auch Civicus betrachtet am Ende schematisch nationale Zivilgesellschaften.

Eine weitere Bewertung der Zivilgesellschaft liefert der Bertelsmann Transformation Index. Dieser liegt jedoch nur für Mexiko vor, nicht für die USA, für die keine Transformation als Weg oder Notwendigkeit definiert wird. Damit wird de facto ohne Länderbericht die USA als demokratische Marktwirtschaft definiert. Der Index ist deutlich komplexer und bezieht nicht nur politische Indikatoren ein, sondern auch wirtschaftliche. Auch die Güte der Zivilgesellschaft wird dabei bewertet. Zu dieser wird festgehalten:

„Civil society in Mexico is very weak. The Mexican leadership only sporadically involves civil society, and only takes into account the interests of a few civil society actors. The corporatist organizations that were the center of power of the PRI are now mostly “empty shells.” Civil society organizations emerged in the 1980s and 1990s, but they are weak in comparison to countries such as Brazil and Argentina. Nonetheless, those that exist are very effective and, together with journalists, have publicized many corruption scandals, injustices, and human rights violations. They are, nonetheless, not strong enough to oblige the government, political parties or judiciary to redress their accusations. Such power would require a stronger, better organized civil society with links to political parties, which does not exist in Mexico.“ (Bertelsmann Transformation Index 2018).

Auch in diesem Bericht wird die Gefährdung der Zivilgesellschaft erfasst, durch Gewaltdrohungen und mangelnde strukturelle Einbindung sowie eine schwache Presse. Jedoch werden auch Erfolge der Zivilgesellschaft hervorgehoben wie ein Anti-Korruptionsgesetz in Mexiko, welches auf zivilgesellschaftlichen Druck entstand (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2018). Auch hier wird eine national verankerte gefährdete Zivilgesellschaft als Status Quo 2018 verzeichnet, wobei globale Verwebungen keine Berücksichtigung erfahren.

Dieser Text möchte solche schematischen Zeichnungen hinterfragen. Dies meint nicht, in der Komparation den Status von Demokratie und Zivilgesellschaft in Mexiko besser zu bewerten als in den USA, und damit den hier diskutierten Indizes zu widersprechen. Dafür gäbe es auch keine Grundlage. Doch muss hinterfragt werden, in wie fern eine solche nationale Bewertung von Zivilgesellschaft, und eine Folgerung davon auf den Status der Demokratie, haltbar ist. Die hier vorgestellten Indizes bieten dazu gewissermaßen Anhaltspunkte. So wird beispielsweise auf regionale Unterschiede der Stärke der Zivilgesellschaft in Mexiko verwiesen oder auch auf internationale Verbindungen. Doch verbleiben diese Indizes dabei und kehren von dort zu einer nationalen Bewertung zurück. An dieser Stelle wurde jedoch bereits auf die Bedeutung transnationaler Aktivitäten verwiesen und die lokale Manifestierung globaler Zivilgesellschaft, so an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Doch genau diese und deren Stärke werden über Indizes wie jene hier diskutierten nicht abgebildet. Vielmehr werden gewissermaßen artifiziell Länder entlang von Grenzen verallgemeinert, und damit regionale Unterschiede in einem Gesamtergebnis nivelliert. Zugleich werden die Besonderheiten von Grenzregionen und das Wirken einer globalen Zivilgesellschaft, wie sie hier im Rahmen des Instituts immer wieder aufgezeigt und nachgewiesen wurden, gar nicht bis maximal kaum berücksichtigt. Doch dies verkürzt und verfälscht zugleich die Verbindung und Korrelation zwischen Demokratie und Zivilgesellschaft. Gerade in Situationen bedrohter Zivilgesellschaft, wie sie sich in Mexiko finden, kann das Wirken globaler Zivilgesellschaft dieser entgegenstehen. Damit müsste, zu einer kohärenten Reichweite von Demokratie- und Zivilgesellschaftindizes, globale Zivilgesellschaft nicht nur berücksichtigt, sondern auch klarer operationalisiert werden. Dies ist als Hauptthese dieses Beitrages festzuhalten. Zudem gilt es, die Reichweite und Aussagekraft von Indizes kritisch zu diskutieren. Schematische und klassifikatorische Einordnungen weisen immer Grenzen auf und kommunizieren doch Eindeutigkeit im Sinne von: „die USA sind frei, Mexiko nur teilweise“. Doch wird dies der komplexen, und insbesondere regional diversen Realität so nicht gerecht. Und diesem zu begegnen, gilt es lokaler zu messen, oder auch transnationale Werte anzugeben, statt an nationalen Werten festzuhalten. Auch dies kann als These dieses Beitrages fixiert werden. Doch ist es nicht nur dies, was als Veränderung angemahnt werden soll. Vielmehr würden entsprechende Indizes von der Berücksichtigung globaler Zivilgesellschaft und ihrer lokalen Materialisierung massiv profitieren und realistischere und differenziertere Bilder zeichnen. Dies ist sowohl Arbeitsauftrag zur Überarbeitung entsprechender Indizes wie These dieses Beitrages bezüglich der Grenzen bisheriger Messansätze auf Grund der fehlerhaften Berücksichtigung globaler Zivilgesellschaft.

 

Auswahlbibliographie

Badescu, Gabriel; Sum, Paul & Uslaner, Eric M. (2004): Civil Society Development and Democrativ Values in Romania and Moldiva. In: East Europeann Politics and Societies, 18-2, S. 316-341.

Bertelsmann Transformation Index (2018): BTI 2018. Mexico Country Report. Online in: https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/mex/ (letzter Zugriff: 27.03.2018).

Civicus (2018a): Mexico. Online in: https://monitor.civicus.org/country/mexico/ (letzter Zugriff: 27.03.2018).

Civicus (2018b): United States of America. Online in: https://monitor.civicus.org/country/united-states-america/ (letzter Zugriff: 27.03.2018).

Freedom House (2018a): Freedom in the World 2018. Mexico. Online in: https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/mexico (letzter Zugriff: 27.03.2018).

Freedom Hosue (2018b): Freedom in the World 2018. USA. Online in: https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/united-states (letzter Zugriff: 27.03.2018).

Kostanyan, Hrant; Blockmans, Steven; Remizov, Artem; Slapakova, Linda & Van der Loo, Guillaume (2017): Assessing European neighbourhood policy. Perspectives from the literature. Study commissioned by the Policy and Operations Evaluation Department of the Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands. Brüssel: CEPS.

Pickel, Susanne & Müller, Thomas (2006): Systemvermessung – Schwächen der Konzepte und Verzerrungen der empirisch-quantitativen Bestimmung von Demokratie und Autokratie. In: Pickel, Gert & Pickel, Susanne (Hrsg.): Demokratisierung im internationalen Vergleich. Neue Erkenntnisse und Perspektiven. Wiesbaden: VS, S. 135-172.

Putnam, Robert D. (2000): Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community. New York u. a.: Simon & Schuster.

Segert, Dieter (2016): Actors, opportunities and obstacles in civic education and democratisation in the Eastern Partnership countries. In: Segert, Dieter (Hrsg.): Civic education and democratisation in the Eastern partnership countries. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 11-24.

 

 

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Posted by Dr. phil. Mario Faust-Scalisi

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