Rezension von Karlies Abmeier:

Fisch Andreas/Ueberbach, Myria/Patenge, Prisca/Ritter, Dominik (Hrsg.): Zuflucht. Zusammenleben. Zugehörigkeit. Kontroversen der Migrations- und Integrationspolitik interdisziplinär beleuchtet (Forum Sozialethik 18), Münster:  Aschendorff 2019 (3. Auflage, unveränderter Nachdruck der zweiten, durchgesehenen Auflage von 2018) 461 S. Kt. 24,80.


Mai 2020

Rezension: Zuflucht. Zusammenleben. Zugehörigkeit. Kontroversen der Migrations- und Integrationspolitik interdisziplinär beleuchtet

Innerhalb von nur acht Monaten war die erste Auflage des Sammelbandes zu den drei “Z“ – „Zuflucht, Zusammenleben, Zugehörigkeit“ vergriffen. Für eine Aufsatzsammlung jüngerer Wissenschaftler eher ungewöhnlich. Aber das zeigt die Bedeutung des Themas. Das Werk fällt nicht nur wegen seines großen Umfangs, sondern vor allem wegen der zahlreichen Aspekte und den multidisziplinär gestalteten Zugängen auf. Das Kapitel Flucht unterscheidet zwischen Zugangsmöglichkeiten für Geflüchtete nach Deutschland und Gründen für Fluchtbewegungen. In der Spannung zwischen den Interessen der Schutzsuchenden und denen der aufnehmenden Staaten verpflichten sowohl moralphilosophische wie menschenrechtliche Gründe, Geflüchtete aufzunehmen. Die Beiträge zu den komplexen Zusammenhängen der Entwicklungszusammenarbeit und die europäische Verantwortung in Afrika zeigen die Ambivalenz der Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und äußern Kritik am engen Zusammenhang von Migrationseindämmung und entwicklungspolitischen Maßnahmen. Jenseits inhaltlicher Einlassungen steht die Beschreibung der Entstehung einer Krise „als Produkt der Eigenlogik massenmedialer Berichterstattung“, verbunden mit der Mahnung zu erhöhter Aufmerksamkeit wegen des Einflusses der Medien auf die gesellschaftliche Realität.

Bemerkenswert ist eine Befragung unter Geflüchteten nach ihren Bedürfnissen. Die Ergebnisse erlauben, Integrationsangebote zu machen, die die Befähigung befördern und zusammen mit und nicht über die Köpfe der Geflüchteten hinweg gestaltet werden. Sonst oft nur am Rande behandelt wird hier auch die Bedeutung der Religion für den Integrationsprozess und ihr Potential für säkulare Gesellschaften hervorgehoben. Ebenso nicht gescheut werden sensible Themen wie die Kriminalität und Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt.

Die Ziele der Integration, die unter den Stichworten “gesellschaftlicher Zusammenhalt“, „Zugehörigkeit“ und „Identität“ behandelt werden, sind in der gesellschaftlichen Diskussion hoch umstritten, besonders wenn Erfahrungen von Migranten mit der gesellschaftlichen Realität konfrontiert werden. Die Auseinandersetzung mit Begriffen wie Verfassungspatriotismus und Leitkultur bietet Anregungen, die in der Aufforderung zu Fairness und Gelassenheit münden.

Bereichernd ist ein Streitgespräch zwischen den Theologen Andreas Fisch und Axel Bernd Kunze. Geschickt hinter einzelnen Themenkomplexen eingeschoben bieten die vertiefenden Fragen die Chance, dass die Beiträge nicht unwidersprochen präsentiert, sondern Kontroversen ausgetragen und teilweise von akademischen Höhen in die Niederungen der politischen Alltagsdebatte geführt werden. In diesem Schlagabtausch sind populistische Anklänge und provokative bis grenzwertige Formulierungen nicht ausgespart.

Das Dilemma zwischen ethischen Ansprüchen und politisch Machbarem reflektieren die Herausgeber unter der bezeichnenden Überschrift “Ethisch gefordert, politisch unmöglich“. Um dennoch Fortschritte zu erzielen, setzen sie auf vorrübergehend geminderte Ansprüche, denen sie mit Hilfe einflussreicher Akteure und einer breiten Bewusstseinsbildung näherzukommen hoffen.

Insgesamt ist ein anregender Band entstanden, der einen großen Rahmen spannt.

Er schließt die Debatte nicht ab, sondern lädt ein, einzelne Thesen und Befunde zu vertiefen, weiter zu erforschen und intensiv zu diskutieren. So ist das Buch bestens für die wissenschaftliche und politische Diskussion geeignet. Es ist erfreulich, dass bereits eine zweite Auflage erschienen ist.


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Posted by Karlies Abmeier