Das neue Buch von Ulrich Hemel

Kritik der digitalen Vernunft. Warum Humanität der Maßstab sein muss

ist nun beim Verlag Herder erschienen.

Vernunft

Kritik der digitalen Vernunft

Warum Humanität der Maßstab sein muss

[Auszug]

Vorwort

Die digitale Transformation verändert unser Leben. Als Bündel technologischer Innovationen prägt sie Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Medien, das Öffentliche wie das Private. Sie benötigt aber auch kräftige Impulse aus der Zivilgesellschaft, wenn sie zugleich ihr humanisierendes Potenzial entfalten soll. Denn beide Wege sind möglich: der Weg der digitalen Unfreiheit und der Weg der digitalen Verbesserung von Lebensbedingungen in einer globalen Zivilgesellschaft mit inzwischen fast acht Milliarden Menschen.

Die Corona-Krise, die während der ersten Fassung des Buches weltweit für Umbrüche sorgte, verstärkt den Trend zu einer zunehmend digitalen, vielleicht auch immer mehr regionalen und ökologisch bewussten Wirtschaftsweise. Dann aber ist erst recht zu fragen, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen: kleinräumig oder global, abgeschottet im Kokon von Familie und Nationalstaat oder offen für eine gerechtere, friedlichere und nachhaltige Wirtschaftsweise, die allen Menschen zugutekommt.

Was also bedeutet die digitale Transformation für uns Menschen? Die Frage stand am Anfang dieses Buches, das den Titel „Kritik der digitalen Vernunft“ trägt. Dahinter steckt die Überzeugung, dass wir neu lernen müssen, umfassend zu denken und zu handeln. Denn was alle betrifft, muss auch für alle ausgelegt werden. Die Betrachtung von Teilaspekten ist notwendig, aber sie muss durch den wagemutigen Versuch ergänzt werden, einen Blick auf das Ganze unseres Lebens in digitalen Zeiten zu werfen.

Eine solche Auslegung im Rahmen einer „Kritik der digitalen Ver- nunft“ ist ein Gedankenanstoß, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wir müssen die digitale Welt mit Blick auf unsere Identität, aber auch auf praktische Anwendungsfelder wie die Arbeitswelt und die politischen Verhältnisse, schließlich auf Fragen der Ethik und der Religion zu erfassen lernen.

Gleichzeitig gilt es, uns als Menschen in der Unterscheidung von Tieren und von Maschinen neu zu verstehen. Dabei entstehen durchaus neue Fragen, etwa die nach einer „Maschinenwürde“ analog zur „Menschenwürde“, die im letzten Kapitel explizit aufgegriffen wird. Es lohnt sich also, der Hinführung zum Verständnis der digitalen Welt in Abgrenzung und Gemeinsamkeit mit der menschlichen Vernunft etwas mehr Raum zu geben. Zu fragen ist folglich nach der Vernunft des Digitalen, nach der Rolle des digitalen Nichtwissens und der „Intelligenz“ Künstlicher Intelligenz, also auch dem Lernen von Menschen und von Maschinen. Daran schließt sich die Frage an, wer wir angesichts der digitalen Transformation sind und sein werden. So geht es in einem weiteren Kapitel ausdrücklich um unsere digitale Identität.

Eine „Kritik der digitalen Vernunft“ spielt im Titel zweifellos mit dem großen Beitrag Immanuel Kants für die europäische Geistesgeschichte. Seine „Kritik der reinen Vernunft“ erschien 1781, zwei Jahre nach der Französischen Revolution, die wir geistesgeschichtlich und politisch als Epochenwende begreifen. Hinter der „Kritik der digitalen Vernunft“ steckt insofern der Gedanke an eine neuerliche Epochenwende, aber auch die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung. Denn zum Menschen gehört immerhin auch und nach wie vor seine Vernunftfähigkeit, vor und jenseits aller Künstlichen Intelligenz.

Weil Aufklärung ein praktisches Anliegen ist, heißt das Buch nicht „Prolegomena“ zu einer Kritik der digitalen Vernunft (auch weil viele Menschen den Begriff Prolegomena, also „anfängliche Bruchstücke“, gar nicht mehr kennen). Es heißt auch nicht „Beiträge zu einer Kritik der digitalen Vernunft“, denn damit wäre ein stark akademischer Duktus vorprogrammiert. Eingedenk der Grenzen und Schwächen jeder einzelnen Person enthält damit diese „Kritik der digitalen Vernunft“ Glanz und Elend jedes Versuchs, die eigene Zeit auf den Begriff zu bringen.

Dazu gehört es, dass wir als Menschen mit unseren Möglichkeiten ebenso wie mit unseren Grenzen leben. Die Grenzen eines Buches und eines Autors sind leicht zu verstehen: Ein Autor hat nur eine begrenzte Lebenszeit, eine begrenzte Auffassungs- und eine begrenzte Formulierungsgabe. Schon aus diesem Grund gehen alle Fehler, Einseitigkeiten und Mängel dieses Werks ausschließlich zu meinen Lasten.

Wir sind als Menschen aber auch nicht alleine. Ich bin dankbar für großartige Unterstützung, ohne die dieses Buch nicht möglich gewesen wäre. Durch meine eigene Lebensreise konnte ich in vertiefter Art und Weise aufgrund meines Studiums der Katholischen Theologie, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Rom die spezielle Welt der Religion, dazu nach meiner Habilitation in Religionspädagogik die faszinierende Welt der Unternehmensberatung bei der Boston Consulting Group und im Anschluss daran die Welt des Managements, zuletzt als Vorstandsvorsitzender in einem großen Familienunternehmen und in Firmen aus dem Portfolio von Private Equity kennenlernen. Als Bundesvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer und Gründer des Instituts für Sozialstrategie zur Erforschung der globalen Zivilgesellschaft habe ich das Privileg, den Zugang zu politisch aktiven Menschen zu finden, auch im bisweilen kontroversen Gespräch.

Wenn ich von großartiger Unterstützung spreche, dann gilt dies für die Erstellung dieses Buches ganz besonders für das Team des Weltethos-Instituts in Tübingen, das zu leiten ich seit Juni 2018 die Ehre habe: Nurzat Sultanalieva und Kristina Janackova haben sich die Mühe gemacht, alle Kapitel des Buches ausführlich mit mir zu diskutieren. Kristina Janackova hat außerdem eine erste Fassung des umfangreichen Glossars sowie das Namensregister erstellt. Elena van den Berg hat sehr präzise an der Schlussredaktion mitgewirkt. Bernd Villhauer verdanke ich wertvolle textliche und sachliche Anregungen. Christopher Gohl und Anna Tomfeah tragen ebenso wie Michael Wihlenda, Julia Schönborn, Esther Nezere und Arben Kukaj zum inspirierenden Charakter des Instituts enorm bei. Und das Institut selbst würde nicht existieren ohne die ungemein großzügige finan- zielle Förderung des Stifters Karl Schlecht, der auch selbst sehr gerne seine Stimme ins Gespräch einbringt und sich trotz seiner inzwischen 88 Lebensjahre nach wie vor als „Suchender“ bezeichnet.

Danken möchte ich aber auch dem Verlag Herder, für wunder- bare Gespräche mit Simon Biallowons und Manuel Herder sowie für die ausgesprochen kundige Begleitung durch die Lektorin Johanna Oehler. Das Buchcover hat Stefan Hilden gestaltet, den wiederum Bernd Sauter auf das Thema aufmerksam gemacht hat.

Besonders hervorzuheben ist hier meine Frau Amparo Lucia, die als gebürtige Kolumbianerin immer wieder den Blick auf andere Formen der Lebensgestaltung und andere Lebensweisen lenkt.

Ich widme das Buch den kommenden Generationen, stellvertretend meinen Enkelkindern Justus (geboren 2013), Jonas (geboren 2015) und Amalia (geboren 2019).

Und wenn die Leserinnen und Leser bei ihrer Lektüre so viel Neues für sich entdecken und so viel Vergnügen haben wie ich beim Schreiben, hat das Buch seinen Zweck erfüllt!

Ulrich Hemel

Tübingen und Laichingen, den 29. Juni 2020

Sie finden hier einen weiteren Textauszug!

Posted by Ulrich Hemel