Abstract [de]: Gesellschaftliche Alterung als globales Phänomen verlangt nach neuen Wegen zivilgesellschaftlicher Vernetzung. Diese erfolgt sowohl lokal, national oder auch global; eine besondere Rolle dabei spielt die zunehmend auch digitale Einbindung in die und als Teil Globaler Zivilgesellschaft. Die dabei zu bewältigenden Wege und Fallstricke, aber auch Potentiale der Einbindung sollen folgend reflektiert werden.


August 2014

Alterung als Vernetzungsherausforderung Globaler Zivilgesellschaft

Global werden die meisten Gesellschaften im Durchschnitt immer älter. Dies liegt nicht nur an einer steigenden Lebenserwartung, sondern auch vielerorts mehr oder minder deutlich abnehmenden oder auf niedrigem Stand verharrenden Geburtenraten. Einige Gesellschaften bemerken diese Entwicklung bereits seit längerer Zeit, unter anderem viele europäische Gesellschaften, für andere ist dies ein eher neueres Problem. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Lebenserwartung in vielen Ländern noch nicht so lange deutlich steigt und Geburtenraten lange hoch waren. Alte Menschen wurden lange nicht als hoch bedeutendes politisches und gesellschaftliches Thema ausgemacht, von finanziellen Erwägungen abgesehen. Das Bild der Integration von älteren Menschen in Groß- oder größeren Familien überlebte vielerorts die schon lange vorher eingesetzte Zersetzung dieser Realität. Gerade in Ländern hoher Urbanität sowie in Ländern radikaler demographischer Veränderungen in kurzer Zeit, und dies trifft für sehr viele Länder in Asien, Afrika oder Lateinamerika zu, gingen die Veränderungen oft schneller voran als die Wahrnehmung hinterher kam.

So leben viele ältere Menschen vielerorts nicht mit ihrer Familie zusammen, leben eher ländlich und isoliert und haben an vielen Entwicklungen kaum Anteil. Neben der Notwendigkeit für viele ältere Menschen auch im Alter weiterhin zu arbeiten, umtreibt immer mehr die Frage der Einbindung und Vernetzung. Verwandte in großen Städten sind schwer zu erreichen, andere ältere in ebenso abgelegenen Situationen jedoch ebenso. In vielen Ländern Europas oder auch in den USA oder Australien hilft dagegen die digitale Vernetzung. Ältere Menschen finden so selbst über Entfernungen Möglichkeiten des Austausches, gesellschaftlicher Teilhabe oder auch der Teilhabe am Leben der nicht vor Ort lebenden Familie. Vereine, Verbände, aber immer wieder auch Verwandte bemühen sich älteren Menschen Handys ebenso nahe zu bringen wie Möglichkeiten des Internets. Dies geschieht mit unterschiedlichem Erfolg und unterschiedlicher Reichweite. Gibt es vor Ort existierende oder gewachsene Sozialstrukturen, werden die Notwendigkeiten einer Vernetzung darüber hinaus nicht von allen gesehen. Das Interesse an großen Veränderungen umtreibt längst nicht alle. Anders jedoch, wenn persönliche Anliegen betroffen sind, die größere zivilgesellschaftliche Vernetzung verlangen, oder es eben kein noch existentes lokales Netz gibt. Umsiedlungen, Tode oder auch Krankheiten können solchen Netzen entgegenstehen. Dann könnten moderne Kommunikationstechnologien Abhilfe schaffen, doch dies ist nicht stets erwünscht. Es gibt multiple Versuche die Vorzüge zu vermitteln. Teilweise führt aber erst der Plan eine Straße am Haus vorbei zu führen oder eine wahrgenommene politische Unverschämtheit dazu, dass Aktivität entbrennt und bewusst neue technologische Möglichkeiten gesucht werden. Einige wollen auch nur ihre Hörspielsammlung archivieren, andere sich endlich wieder über ein Hobby austauschen. Oft hilft es dabei eine backup-Unterstützung für Fragen zum neuen Medium zu haben oder sich an Service-Anbieter zu binden, die angerufen werden können. 

Wie nun aber können jene älteren Menschen vernetzt werden, in Gesellschaften integriert oder wieder integriert werden, denen es an Ressourcen oder Wissen fehlt. Ein interessantes Beispiel dafür in den USA sind Gefängnisinsassen, die auf Grund langer Haftstrafe und keiner frühzeitigen Begnadigung im Gefängnis altern und teilweise sehr alt nach vielen Jahren im Gefängnis in eine fremde Welt entlassen werden. Im Bewusstsein dieser Problematik bieten Gefängnisse nicht nur Computer-Kurse an, auch Aktivist_innengruppen mühen sich darum, die technologische Anschlussfähigkeit zu gewährleisten. Dafür ist Interesse notwendig, doch diese Feststellung gilt für quasi jegliche Vernetzung. Die Gefahr nach einer Entlassung sich nicht nur sozial isoliert zu fühlen, sondern auch gesellschaftlich ausgeschlossen, ist groß. Dagegen helfen die Vermittlung von Kenntnissen und eine frühzeitige Unterstützung der Vorbereitung der Entlassung sowie des Aufbaus von Wissen und Fertigkeiten. Möglichst inkludiert dies sogar bereits eine Vernetzung außerhalb von Gefängnissen. Insbesondere bei Aktivist_innen hinter Gittern ist die Vernetzung nach draußen wichtig, um ihren Anliegen Reichweite und Stimme zu bescheren. Dies geschieht dabei über Intermediäre, die für sie diese Anliegen verbreiten, Unterstützer_innengruppen aufbauen und die Kommunikation gewährleisten. So ist eine Vernetzung trotz Mauern und mangelndem Wissen möglich und kann gewährleistet werden. Gerade für ältere Gefangene, die nur bedingte Kenntnisse von technologischen Möglichkeiten und kein je bestehendes Netzwerk in diesem Sinne hatten, sind Intermediäre zentral, die sie auch unterweisen und selber Fertigkeiten und Kenntnisse einbringen. Dies bedarf aber wiederum einer gewissen Infrastruktur.

Wie aber soll eine Einbindung und Vernetzung ohne diese Infrastruktur stattfinden? Ist die Vernetzung und Einbindung bereits in vielen Ländern, die diese Infrastruktur haben, eine Herausforderung, stellt sich dies in anderen Ländern noch extremer da. Fehlt es ganzen ländlichen Gebieten mehr oder minder an Internetzugängen, wenn überhaupt andere Infrastruktur in Breite existiert, kann auf eine digitale Vernetzung nicht gesetzt werden. In einigen Ländern haben daher Handys, oft internetfähige Handys, eine große Bedeutung bekommen. Diese könnten auch älteren Menschen Vernetzung bieten, doch wenn es an Anleitungen oder Unterstützung fehlt, gestaltet sich dies oft sehr schwierig. Hingegen bedeutet keinerlei Internet eben auch, dass andere dieses genauso wenig haben. In positiver Sichtweise führte dies dazu, dass ein technologisches Abgehängt-Sein älterer Menschen gar nicht möglich ist, gemeinsam für einen infrastrukturellen Anschluss gekämpft würde. Wenn aber Landflucht und hohe Urbanisierung in vielen Regionen berücksichtigt werden, bedeutet dies lediglich, dass viele ältere Menschen kein Internet oder nur schlechte Telefonanbindungen haben, keineswegs, dass dies viele jüngere Menschen in einem vergleichbaren Ausmaß betrifft. Infrastrukturentwicklung wird so nicht nur eine regionale Frage und von regionaler Konkurrenz (mit)geprägt, sondern auch eine Generationenfrage. Dies zeigt sich deutlich in Lateinamerika mit sehr hohen Urbanisierungsraten. Wenn es dann an Vor-Ort-Vernetzung mangelt, geht das soziale Leben mehr und mehr verloren. Aber auch zivilgesellschaftliche Aktivitäten werden so deutlich eingeschränkt. Im Rahmen von Differenzen in einem Land können weniger vernetzte und weniger sprachmächtige Gruppen am wenigsten ausrichten. Die Einbindung älterer Menschen, und letztlich damit die Möglichkeit des Gebens einer Stimme, ist gerade dann zentral, wenn sie ihre Interessen berücksichtigt sehen möchten. Dabei können nicht-staatliche und oft transnationale Akteur_innen helfen, die analog zu Intermediären bei US-Gefängnissen für die Vernetzung wirken und sorgen können. Über sie können Geschichten erzählt werden, Unterstützer_innen und Öffentlichkeit generiert werden. Und dies schließt teilweise wieder den Bogen.

Umso höher der Anteil einer mehr oder minder finanziell versorgten alten aber noch körperlich wie geistig fitten Bevölkerung in vielen Ländern steigt, desto mehr dieser suchen im Ruhestand auch neue Aufgaben. Einige kümmern sich um Umweltfragen, andere um Lokalpolitik oder auch ihr Hobby. All dies verlangt Vernetzungen, für die immer mehr auch von älteren Menschen neue Kommunikationstechnologien genutzt werden. Andere befassen sich aber auch zentral mit Altern oder Krankheit in anderen Ländern, unterstützen dortige Projekte und Menschen. Dass Bewusstsein neuer Möglichkeiten durch neue Kommunikationstechnologien macht dies möglich, soll dort aber auch vermittelt werden. Ältere Menschen in abgelegenen Gebieten in Lateinamerika, Asien oder Afrika haben so Unterstützende, die sie zu vernetzen suchen und ihre Anliegen vorbringen. Beide Seiten werden Teil einer Digitalen Globalen Zivilgesellschaft. 

Die Vernetzung älterer Menschen als Einbindung und zur Ermöglichung kritischer zivilgesellschaftlicher Teilhabe ist eine vielerorts nicht gelöste Aufgabe. Doch gibt es Ansätze und Versuche sowie ein steigendes Bewusstsein über globale Alterungstendenzen. Gerade internationale Organisationen versuchen durch Studien drauf hinzuweisen, so beispielsweise zunehmend die Weltbank, unter anderem mit Fokus auf Lateinamerika. Länder und Gesellschaften mit weiter zurück reichenden Erfahrungen in der Alterung der Bevölkerung können dabei mit ihrer Erfahrungsexpertise helfen. Zentraler jedoch ist es, die Eigenartikulation von Individuen, Gruppen und Zivilgesellschaften zu ermöglichen. Dabei sind die besondere Rolle aber auch die besondere Gefährdung älterer Menschen zu berücksichtigen. Ihre Vernetzung kommt nicht automatisch, kommt nicht kostenfrei, wie das Beispiel spätentlassener langzeitiger US-Häftlinge zeigt. Es bedarf gesamtgesellschaftlicher und tendenziell globaler zivilgesellschaftlicher Bemühungen und Fokusse dies zu erreichen. Eine verstärkte vernetzende Einbindung älterer Menschen bietet aber zugleich große neue Möglichkeiten der Nutzbarmachung von Erfahrungen oder auch Engagement.


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Posted by Mario Faust-Scalisi

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